Kein Monopol auf Kamikaze
Dass die SPD kein Monopol auf Kamikaze hat, machen Karikatur und Kommentar aus der WAZ vom 30.10.19 deutlich:
→ Karikatur „Ring frei zur Wahlanalayse“: Ring frei zur Wahlanalyse
→ Kommentar: „Aus dem Hinterhalt“ (https://www.waz.de/politik/cdu-merz-schiesst-mit-seiner-kritik-aus-dem-hinterhalt-id227506305.html)
Wie steht eigentlich die Wittener CDU zu diesen Ereignissen? Ist sie in der Wittener GroKo-Bräsigkeit eingeschlafen? Oder glaubt sie, auf kommunaler Ebene mit dem Kamikaze nichts zu tun zu haben? Das dürfte ein Irrtum sein: Die Kommunalwahlen 2020 (Bürgermeister_in und Stadtrat) stehen bekanntlich vor der Tür.
Kamikaze mit Kapschack
Am 18.10.19 finde ich in der WAZ folgende Notiz: „Kapschack für eine ÖPNV-Modellprojekt“. In dieser Notiz heißt es: Der SPD-Bundestagsabgeordnete Ralf Kapschack begrüßt das von der Bundesregierung beschlossene Klimaschutzkonzept. ….“
So sieht Kamikaze aus, denn es ist doch mittlerweile sonnenklar, dass dieses Konzept nicht einmal im Entferntesten in der Lage ist, eine wirksamen Klimaschutz zu erreichen. Hier die Einschätzung von Campact: „Das große Klima-Versagen – und jetzt?“*. Allerdings gab es auch kritische Positionen in der SPD, wie aus einem Spiegel-Artikel „Willy werden“ (Spiegel Nr. 44, 26.10.19) hervorgeht.
Karl Lauterbach und Nina Scheer waren für konsequenten und wirksamen Klimaschutz. Wie das dann allerdings in der SPD abging, machen folgende Passagen aus dem Spiegel-Artikel deutlich: „Drei Tage später sitzt sie (Nina Scheer/K.R.) mit Lauterbach im Zug von Berlin zur nächsten Konferenz in Braunschweig und ist noch immer fassungslos über den Verlauf der Fraktionssitzung in dieser Woche. Leider habe die Fraktion ein Stück weit den Bezug zur Realität verloren. Es sei ernsthaft erzählt worden, dass das Klimapaket der Bundesregierung nicht so schlecht sei. Der Tenor sei gewesen: Wenn wir zusammenhalten und zu dem Paket stehen, dann werde es schon als Erfolg rüberkommen. Als sie das Paket dann kritisiert habe, als Einzige, sei man ihr regelrecht ins Gesicht gesprungen. ‚Ich habe so was noch nie erlebt.’“
Instruktiv ist auch folgendes Zitat: „Auf der Bühne kritisiert Scheer dann Olaf Scholz für das Klimapaket der Regierung. Man solle nicht so tun, als sei das gut, was man erreicht habe. Scholz steht neben ihr und lächelt, wie er all die 23 Veranstaltungen durchlächelt, freundlich und entrückt. Er zeigt keinerlei Regung. Zu den meisten Konferenzen hätte er auch einen Papp-Olaf schicken können. Es hätte keine großen Unterschied gemacht.“
Wagenburgmentalität mit Kamikaze-Effekt und Mobbing, und Herr Kapschack war offenbar beteiligt. Dass das so mit einer Erneuerung der SPD nichts werden kann, scheint mir offensichtlich zu sein. (mehr …)
In der Sache falsch
In der WAZ vom 25.10.19 finde ich folgenden Leserbrief von Herrn Gerhard Keller:
„Keine Volkspartei/Tempolimit auf Autobahnen: Auf Empfehlung des Verkehrsausschusses hat der Bundestag mehrheitlich am 17.10.2019 die Einführung dieses Tempolimits (Tempo 130 /K.R.) abgelehnt. Der Empfehlung des Verkehrsausschusses hat auch Bundestagsmitglied Ralf Kapschack zugestimmt. Eine Partei, die den Willen der Mehrheit ihrer Basis nicht vollzieht, ist keine Volkspartei. Ich schlage vor, Herrn Kapschack einmal zu interviewen, wie er seine Gewissensentscheidung vor der Parteibasis und der Mehrheit der Bevölkerung (über 60 %) rechtfertigt.“
Im Kern kann ich Herrn Keller nur Recht geben. Was mag wohl den Wittener SPD-Bundestagsabgeordneten Ralf Kapschack geritten haben, dem Tempolimit 130 für deutsche Autobahnen nicht zuzustimmen? Ob er auch der Auffassung von Herrn Scheuer ist, dass eine derartiges Tempolimit gegen jeden Menschenverstand gerichtet sei, wo doch im Gegenteil von der Sache her alles für ein Tempolimit spricht? Siehe dazu mein Beitrag „Gegen jeden Menschenverstand?“/5.3.19): „Dabei ist es aus meiner Sicht genau anders herum: Der Verzicht auf ein Limit ist eigentlich gegen jeden aufgeklärten Menschenverstand – wenn Vorsorgeprinzip und Risikobegrenzung ernst genommen werden.“
Den Hinweis von Herrn Keller auf eine Parteibasismehrheit und eine Mehrheit der Bevölkerung halte ich allerdings für fragwürdig. Natürlich ist eine Umfragemehrheit von 60 % zu begrüßen, aber selbst wenn diese nicht vorhanden wäre, sollten in erster Linie Sachargumente und keine volatilen Umfragemehrheiten bei Entscheidungen von Bundestagsabgeordneten den Ausschlag geben. Aus guten Gründen kennt das Grundgesetz kein imperatives Mandat – weder einer Parteibasis noch irgendwelcher anderen Mehrheiten. Eine andere Regelung würde auch mit Sicherheit wegen der Schwierigkeit legitimer und verbindlicher Mehrheitsfindung zum politischen Tohuwabohu führen.
Herr Kapschack ist zu kritisieren, nicht weil er einer fiktiven Parteibasis oder Mehrheit nicht entspricht, sondern weil sein Votum gegen Tempolimit 130 dazu beigetragen hat, Schlechtes nicht zu beenden: Die hemmungs- und rücksichtslose Raserei auf deutschen Autobahnen gefährdet das Klima, die nicht rasenden Verkehrsteilnehmer_innen und natürlich auch die Raser_innen selbst. Wer Rennen fahren möchte, sollte die dafür vorgesehenen Rennstrecken benutzen. Autobahnen eignen sich nicht dazu.
Ganz hoher Besuch
Am 23.10.19 finde ich in der WAZ eine Notiz mit dem Titel „Hoher Besuch bei der Tafel“.
Ich stutze. Von welcher Hoheit mag die Rede sein? Kaiserliche Hoheit persönlich? Nein, sondern um „Ihre Hoheit“ die Landtagsabgeordnete der Grünen Verena Schäffer (wie der Text der Notiz deutlich macht), die offenbar nur während der sitzungsfreien Zeit im Landtag Zeit hat, ihren Wahlkreis zu besuchen und Self Marketing vor Ort zu betreiben. Der Job muss ja enorm schweißtreibend sein!
Abgesehen davon, dass zu den Grundsäulen der Grünen früher die Basisdemokratie zählte (lang ist’s her) und ich als basisdemokratische Mindestpflicht bei einer grünen Landtagsabgeordneten einen regelmäßigen öffentlichen Rechenschaftsbericht in ihrem Wahlkreis über ihre Arbeit vermisse: Wes Geistes Kind muss eine Redaktion sein, die eine Notiz so titelt?
Was passiert denn, wenn unser Bundestagsabgeordneter Ralf Kapschack – bekanntlich einer anderen Partei angehörig – im Rahmen seines Self Marketings seinen nächsten pressewirksamen Termin in seinem Wahlkreis lanciert? Wird das dann ein „oberhoher Besuch“?
Schwadronieren der Kanzlerin
Nachtrag 27.9.19: Zwischen 1995 und 2019_ So oft änderte Angela Merkel ihre Klimapolitik. Und das war das, was möglich war?
Wenn Frau Merkel sagt, Politik sei das, was möglich ist*, ist das schlicht dahin schwadroniert. Schwadroniert deshalb, weil die noch amtierende Kanzlerin offensichtlich meint, möglich sei nur das, was sie selbst für möglich hält. Das lässt sich auch mit „alternativlos“ übersetzen. Da Politik aber über Entscheidungen den Bereich des Möglichen entscheidend mit beeinflusst, dürfte es auch politisch immer mehrere Möglichkeiten (Alternativen) geben. Wer sagt denn, dass konsequentere Maßnahmen zum Klimaschutz nicht möglich gewesen wären? Die politischen Kritiker des Klimaschutz-Pakets der Bundesregierung einschließlich eines ernstzunehmenden Kreises von Wissenschaftlern jedenfalls nicht. Hätten sie entscheiden können, wäre selbstverständlich anderes möglich gewesen.
*Eigentlich heißt es: „Politik ist die Kunst des Möglichen“ (Otto von Bismarck). „Kunst“ beinhaltet eine aktive, gestaltende und risikobehaftete Komponente. Die fällt bei Frau Merkel gänzlich weg. Altersbräsigkeit?
CO2-Steuer: Und wenn’s nicht funktioniert?
Hier zwei instruktive Artikel zum Klimaschutz aus der Südddeutschen Zeitung.
Der erste Artikel bilanziert die eher weniger erfolgreichen Maßnahmen der diversen Bundesregierungen seit 1990. Ich verweise speziell auf die Ökosteuer der vormaligen rot-grünen Regierungskoalition. Anzumerken ist, dass der „Erfolg“ (fast 1/3 weniger CO2) der Reduktion auch auf die Deindustrialisierung der ehemaligen DDR zurückzuführen ist:
→ CO₂-Reduktion Kaum eine Maßnahme hat etwas gebracht CO2 Reduktion Kaum eine Maßnahme hat etwas gebracht
Der zweite Artikel bringt etwas Licht ins Dunkel der gegenwärtig angedachten Modelle einer CO2-Steuer. Merke aber: „Trägheit“ und „Marktelastizität“ (siehe dazu mein Beitrag „CO2-Steuer – noch ein Patentrezept?“/5.8.19):
→ CO₂-Steuer:1000 Euro für den Klimaschutz – und dann? CO2 Steuer 1000 Euro für den Klimaschutz – und dann?
Insofern drängt sich die Frage auf, ob es einen Plan B oder C etc. gibt, wenn sich bei Nachkontrolle (Monitoring!) die Unwirksamkeit einer CO2-Steuer bzgl. der angestrebten Fristen herausstellen sollte.
Grenzen der Grünen
Ich habe schon in meinem Beiträgen „ Europawahl – Witten: Grünste Stadt im Revier?“/29.5.19 darauf hingewiesen, dass der deutsche Grünen-Hype in Europa nur zu einem überschaubaren Anstieg der grünen Präsenz im Europaparlament geführt hat. Im Europaparlament ist das Ergebnis der Wahl eine konservative bis rechtspopulistische – und in diesem Fall europakritische – Mehrheit. Zu dieser Problematik habe ich im Internet zwei kluge Artikel gefunden, auf den ich hier verweise:
→ ZEIT ONLINE: Die Fronten sind geklärt Europawahl_ Die Fronten sind geklärt
→ DER TAGESSPIEGEL: Die Grenzen der Grünen Deutsche Eigenheiten nach der Europawahl_ Die Grenzen der Grünen
Insofern sind trotz aller Umfrage-Höhenflüge die deutschen Grünen mit Robert Habeck gut beraten, den Ball flach zu halten.
Europawahl – Witten: Grünste Stadt im Revier?/Fortsetzung
Genau genommen hat sich ja abgesehen von den Jubelrufen der Grünen nichts geändert. Das europaweite Ergebnis hat nur eine leichte Verbesserung für die Grünen ergeben, und die bisherigen Mehrheits- und Machtverhältnisse auf Bundesebene, im Land und auch kommunal bestehen nach wie vor weiter. Was das z.B. bezogen auf eine konsequente Umwelt- und Klimaschutzpolitik aktuell heißt, machen zwei Statements deutlich:
In der WAZ vom 29.5.19 äußert sich die NRW-Bauministerin Ina Scharrenbach (im Artikel „Städte müssen Konflikte austragen“): „Der Regionalverband Ruhr hat den Regionalplan auf der Basis der strengen Planungsvorgaben der rot-grünen Vorgängerregierung aufgestellt. CDU und FDP geben den Planern nun größere Freiheiten bei der Ausweisung von Flächen für Gewerbe und Wohnen“.
Und in der selben WAZ nimmt Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil im Artikel „Wir müssen klarmachen, wofür die SPD steht“ folgendermaßen zum Wahlausgang Stellung: „Aber im Übrigen muss die SPD jetzt auch einmal die Auseinandersetzung mit den Grüne führen. Welche Konzepte haben die Grünen, um Arbeit und Umwelt zusammen zu bringen, oder sind ihnen Arbeitsplätze egal? Und wie soll die Klimawende finanziert werden, ohne dass die kleinen Einkommen bluten?“.
Mein Kommentar dazu: Falsche und klimaschädliche Zielstellungen, alte verstaubte Frontstellungen und nix gelesen und gelernt.
Europawahl – Witten: Grünste Stadt im Revier?
Natürlich ist das grüne Ergebnis sowohl bundesweit bei den Europawahlen wie auch in Witten beachtlich. Es zeigt zweierlei: dass Sachthemen, für die Grünen – im Bund, Land und auch in Witten – stehen sollten (Klimaschutz etc.) für Wähler_innen zunehmend wichtiger geworden sind, und dass die unsägliche Wurschtelei der sog. Volksparteien (CDU, SPD) von den Wähler_innen immer weniger goutiert wird.
Den Wittener Grünen würde ich allerdings empfehlen, die Bodenhaftung und den Realitätsbezug nicht zu verlieren. Erstens ist das besonders gute Ergebnis in Witten im Revier nichts Neues. Schon 1994 hatten die Wittener Grünen mit ca. 8.300 Stimmen bei der damaligen Kommunalwahl die Spitze im grünen Revierrankung erreicht. Zweitens sind derartige Ergebnisse bei den Grünen extrem volatil. Denn 1999 lagen die Wittener Grünen dann bei ca. 2.800 Stimmen – der Absturz nach Beginn der rot-grünen Koalition unter Schröder (siehe dazu mein Beitrag „Nichts ohn‘ Ursach – wie die Wittener seit 1994 ihre Selbstverwaltung gewählt haben“/14.4.13)!
Heißt: Dass Ergebnis der Wittener Grünen ist absolut abhängig von drei Faktoren: der Performance konkurrierender Parteien (dies gilt auch für die kommunale Ebene), dem Bundestrend und der Leistung der Grünen in Regierungsverantwortung, wenn gegeben (s. Rot-grün im Bund nach 1998 und Rot-grün in NRW).
Hinzu kommt die bei genauerem Hinsehen fehlende politische Substanz der Wittener Grünen, was die grünen Kernthemen anbetrifft (Das mag übrigens der Hintergund sein, warum die Wittener Grünen am 26.5.19 das Spitzenergebnis ungläubig zur Kenntnis genommen haben: WAZ Online 27.5.19). (mehr …)
AfD – (bad) news is better than no news
Zur Plakatposse AfD versus Piraten/Piraten versus AfD und Demo gegen die AfD:
Es gibt in der Werbung den Spruch „Bad news is better than no news“. Das könnte mensch auch zu den genannten Ereignissen und der breiten Berichterstattung in der WAZ* sagen – wobei die Berichterstattung nicht einmal richtig „bad“ war.
Mein Fazit zu den bedeutenden Ereignissen der Wittener Stadtgeschichte: Diejenigen, die die AfD ablehnen und nicht wählen werden, haben ihre jeweilige politische Haltung bekräftigt (AfD nicht, sonst sehr unterschiedlich), und diejenigen, die möglicherweise die AfD wählen wollen, werden sich durch die Ereignisse und Berichterstattung nicht von ihrer Wahl abbringen lassen – eher im Gegenteil. Darüber hinaus wird sich die AfD über die Presse und faktische Wahlkampfunterstützung freuen.
Und dieses „Zuspiel“ wegen einer Veranstaltung („Bürgerdialog“ der AfD) mit ca. 30 originären Teilnehmer_innen, wenn ich die Zahlen aus der WAZ-Berichterstattung richtig interpretiere?
Aus genannten Gründen nehme ich nicht mehr an Veranstaltungen wie der Gegendemo teil (siehe auch mein Beitrag „AfD im Saalbau: Fehlentscheidung glücklicherweise vermieden“/12.4.19). Übrigens: Den Einfluss rechter Diskurse – ein weites Feld – verhindert mensch nicht durch Gegendemos, sondern durch eine überzeugende (Sach)-Politik. Wenn die nicht überzeugt, sollte sich mensch nicht wundern. Die inhaltsleeren und z.T. sinnfreien Sprüche vieler nichtrechtspopulistischer Wahlplakate lassen da allerdings nichts Gutes hoffen. (mehr …)