Überlastungsanzeige Jugendamt – ein schwelendes Dauerproblem der Wittener Stadtverwaltung?
(27.4.19: Zwei Ergänzungen in den Anmerkungen)
Am 7.3.19 zeigt das Jugendamt „Überlastung“ an (im Ausschuss für Jugendhilfe und Schule, Bericht WAZ: Mitarbeiter im Wittener Jugendamt zeigen Überlastung an). Am 11.3.19 reagiert die SPD-Fraktion mit einer Anfrage: Jugendamt. Am 10.4.19 antwortet die Verwaltung auf diese Anfrage: Personalsituation im Jugendamt. Über Anfrage und Antwort berichtet die WAZ am 20.4.19: Stadt_ Kindeswohl trotz Personalnot nicht akut gefährdet.
Bei der ersten Lektüre erschien mir die Antwort plausibel, bei erneuter Lektüre stutzte ich. Warum?
Die Antwort der Verwaltung beginnt mit einer Darstellung der globalen Stellenentwicklung der Stadtverwaltung seit 2012. Ich hätte eine Darstellung der Stellenentwicklung im Jugendamt erwartet. So erfahre ich eigentlich nichts über die Stellenentwicklung der Verwaltungseinheit, die die Überlastung angezeigt hat*. Die wäre aber wichtig für die Einschätzung der Überlastung im Rahmen der Gesamtverwaltung. Es könnte ja immerhin sein, dass das Jugendamt seine Stellen im Laufe der Jahre vermehrt hat, während die Stellen in anderen Bereichen reduziert worden sind. Es könnte aber auch anders herum sein.
In der Antwort wird dargestellt, dass sich die – vollzeitverrechneten – Stellen der Gesamtverwaltung von 1130,49 Stellen in 2012 zu 1156,72 Stellen in 2018 entwickelt haben. Sinn dieser Darstellung ist offenbar, dass sich bei ungefähr gleichbleibendem Personal und hinzu kommenden Aufgaben („Aufgabenzuwächse“) die Belastung der Verwaltung erhöht hat.
Das lässt sich sicher nicht bestreiten. Um die Situation angemessen beurteilen zu können, fehlt aber eine entscheidende Information: die Entwicklung der Personalkosten (sowohl für die Gesamtverwaltung wie für die des Jugendamts). Diese Entwicklung sieht folgendermaßen aus (Zahlen aus den jeweiligen Haushaltsplänen): Das ungefähr gleichbleibende Personal kostete 2012 ca. 65 Mio. € (64.982), in 2018 ca. 74 Mio. € (74.260), also ein Anstieg in 6 Jahren um ca. 6 Mio.. Für 2023 sind im laufenden Doppelhaushalt ca. 80 Mio. € prognostiziert! (Wie die Kostenentwicklung im überlasteten Jugendamt aussieht, hätte die Verwaltung eigentlich in ihrer Antwort darstellen müssen.)
Das heißt, dass die Belastungen, aber auch die Einkommen pro Kopf der Verwaltung erheblich gestiegen sind (ca. 5.186 €/Kopf, natürlich nach Gruppierung unterschiedlich gestaffelt: Manche erheblich mehr, manche erheblich weniger). Ursachen: Tarifabschlüsse, Höhergruppierungen etc..
Was bedeutet das vor dem Hintergrund der andauernden Haushaltskrise der Stadt Witten? (mehr …)
SPD Witten – am Problem vorbei
Am 17.4.19 berichtet die WAZ über die Befürchtung der Mieter_innen von 35 LEG-Wohnungen, nach Modernisierung und Mieterhöhung verdrängt zu werden. Auch die Wittener SPD nimmt Stellung: „Auch die Wittener SPD äußerte ihre Bedenken über die geplanten Maßnahmen und forderte die LEG auf, die Modernisierungen ’sozial verträglich zu gestalten’“(Zitat WAZ). So weit, so unproblematisch und unverbindlich aus meiner Sicht.
Problematisch finde ich hingegen eine weitere Äußerung der SPD in dem Artikel. Zitat: „Wir werden alle politischen Hebel ausloten, um für mehr Wohnraum zu sorgen.“ Problematisch, weil diese Position am aktuellen Problem (und zukünftig ähnlichen Problemen) vorbeigeht.
Mehr Wohnraum führt weder zur Verhinderung von unsozialen Mieterhöhungen durch Modernisierung im Altbestand noch zur Verhinderung des Verlustes von niedrigen Mieten durch das Mietpreis treibende Auslaufen von Sozialbindungen in Witten. Durch bloßen Zubau von Wohnungen auf Teufel komm raus ist diesem Problem nicht beizukommen. Im Gegenteil: Er würde neue Probleme durch Vernutzung und Versiegelung immer knapper werdender wertvoller Flächen schaffen*.
Sinnvoll wäre die Festsetzung einer sozial verträglichen Obergrenze für durch Modernisierung begründete Modernisierungen** und die Verhinderung von sozialunverträglichen Mieterhöhungen nach Auslaufen der Sozialbindungen im Altbestand. Inwieweit und in welcher Größenordnung dann noch Zubau zur Schaffung von preiswertem Wohnraum nötig wäre, ist aus meiner Sicht eine offene Frage, die sich nur durch eine konkrete und je aktuelle Bedarfsermittlung beantworten lassen dürfte. (mehr …)
Witten first?
Am 4.4.19 kommentierte die WAZ ihren Artikel „’Witten first‘: Schulen nehmen kaum Ortsfremde auf“ „Wittener first“_ Schulen nehmen kaum Ortsfremde auf richtigerweise mit dem Hinweis auf die Absurdität der „Witten first“-Regelung in Bezug auf die Aufnahme von Schülern an Wittener Schulen, die nicht aus Witten kommen: „Wittener Schüler werden bevorzugt, Auswärtige bestraft“ Wittener Schüler werden bevorzugt, Auswärtige bestraft.
Absurd, schülerfeindlich und umweltschädlich, weil grenznah in einer anderen Stadt wohnende Schüler gezwungen werden, lange und ermüdende Schulwege (Bustransport?) in Kauf zu nehmen, weil sie von einer ihrem Wohnort näher liegenden und womöglich fußläufig erreichbaren Wittener Schule abgewiesen werden. Ich hatte in meinen Beiträgen „Kein Friede der Adolf-Reichwein-Realschule!?“/28.10.15 und „Schulpolitik à la Trump“/6.3.17 schon vor längerer Zeit auf die Absurdität hingewiesen.
Island und wir: De te fabula narratur?
Ich erinnere mich, dass die Wittener Bürgermeisterin vor einiger Zeit äußerte, sie sei als Kurztrip nach Island geflogen. Gut, sie kann sich das leisten. Aber abgesehen davon, dass derartige Kurztrips extrem klimaschädlich sind, frage ich mich, was sie an Island wohl angezogen haben mag? Die unberührte, intakte Natur? Wenn das das Motiv war, beruhte es auf einer Illusion.
Denn ein großer Teil der „Natur“, die in Island zu sehen ist, ist die Folge einer zurückliegenden ökologischen Katastrophe auf Grund einer unangepassten Wirtschaftsweise der dort ab ca. 870 n. Chr. siedelnden Wikinger. Ich empfehle zur Aufklärung – auch für andere Islandtouristen – die Lektüre von Jared Diamond: Kollaps/Warum Gesellschaften überleben oder untergehen; Kapitel 6: Die Wikinger: Präludium und Fugen, S. 225 – 266; Frankfurt 2009.
Das Buch ist auch über diese spezielle Thematik hinaus in Bezug auf die Umweltzerstörungen unserer Wirtschaftsweise lesenswert. De te fabula narratur?
AfD im Saalbau: Fehlentscheidung glücklicherweise vermieden
Am 12.4.19 veröffentlicht die WAZ einen Artikel „AfD konnte problemlos den Saalbau in Witten mieten“ (AfD konnte problemlos den Saalbau in Witten mieten) und einen darauf bezogenen Kommentar von Herrn Augstein-Peschel „Klares Signal an die AfD verpasst“ (Klares Signal an die AfD verpasst).
Klares Signal an die AfD verpasst? Herr Augstein-Peschel liegt da aus meiner Sicht völlig daneben. Was stellt er sich denn vor, wie es hätte laufen sollen? Gerichtliche, aber von vornherein zum Scheitern verurteilte Auseinandersetzung mit der AfD – s. Bochum? Abgesehen vom Aufwand (zeitliche und finanzielle Kosten – Gerichtsverfahren kosten!), hätte das doch nur der AfD genützt. Oder die von der Institutsleiterin des Saalbaus und der Bürgermeisterin vorgeschlagenen Variante, alle demokratischen Parteien von der Nutzung des Saalbaus auszuschließen?
Damit hätte sich eine wehrhafte Demokratie ins eigene Knie geschossen. Mensch stelle sich vor, eine Partei käme auf die Idee, zur Aufklärung über die undemokratischen Tendenzen in der AfD einen Kongress (meinetwegen offener Bürgerdialog) im Wittener Saalbau zu veranstalten (übrigens aus meiner Sicht eine effizientere Art, sich mit der AfD auseinanderzusetzen, als die ewigen und leerlaufenden Gegendemonstrationen): Dieser Kongress sollte dann nicht möglich sein wegen eines generellen Ausschlusses von Parteiveranstaltungen im Saalabau?
Das wäre undurchdacht und politisch kontraproduktiv, weil sich die Kritiker der AfD selbst entwaffnet hätten: Die AfD bekämpft mensch am besten durch offensive politische Auseinandersetzung und nicht durch versuchte Ausschlüsse, die lächerlicherweise die Demokraten auch noch selbst ausschließen.
Ich habe deshalb selbstverständlich als Mitglied des Verwaltungsrats dem Vorstoß der Institutsleiterin des Saalbaus und der Bürgermeisterin, den Saalbau nicht mehr an demokratische politische Parteien zu vermieten, nicht zugestimmt.
Abschaffung der Stichwahl bei den Bürgermeister_innen-Wahlen: Eine undemokratische Trickserei
Jetzt hat Schwarz-Gelb den Wegfall der Stichwahl bei den Bürgermeister_innen-Wahlen also mit schwachen Argumenten (Kostenersparnis, geringe Wahlbeteiligung) durchgedrückt. Warum schwache Argumente? Die geringere Wahlbeteiligung ist längst empirisch widerlegt, und die Kostenersparnis wiegt den Schaden für die Demokratie – heißt für die bei der Wahl engagierten Wähler_innen – nicht auf (siehe zu diesem Thema auch mein Beitrag „Abschaffung der Stichwahl undemokratisch“/19.2.19).
Dieser Schaden lässt sich leicht darstellen. Nehmen wir an, im ersten Wahlgang treten drei Kandidat_innen an. Kandidat_in 1 bekommt 40% der Stimmen, Kandidat_innen 2 und 3 jeweils 30%. Ohne Stichwahl wäre die Kandidatin/der Kandidat mit 40% der Stimmen gewählt, und 60% der Stimmen wären „im Papierkorb“ gelandet. Mit Stichwahl hätten die Kandidat_innen 2 und 3 die Chance, sich für eine Stichwahlkandidatur zu einigen und ihr Stimmenpotential in die Waagschale zu werfen. Die Chance eines Gewinns der Wahl gegen Kandidat_in 1 wäre erheblich (zwischen 41 und 60%), und 60% der Stimmen wären nicht „verloren“.
Mir ist nicht klar, was Schwarz-Gelb (Landesregierung, Landtagsmehrheit) bei dieser Trickserei getrieben hat. Es gibt bekanntlich positive und negative Alleinstellungsmerkmale (Witten kann, was negative Alleinstellungmerkmale betrifft, ein Lied davon singen. Nur ein Stichwort: Hochsteuerstadt). Bei der Abschaffung der Stichwahl hat es NRW nun glorreicherweise zu einem negativen Alleinstellungsmerkmal geschafft, denn NRW ist jetzt das einzige Land ohne Stichwahl.
SPD und Grüne haben eine Verfassungsklage angekündigt. Ich glaube, dass dieser richtige und begrüßenswerte Versuch einer Korrektur gute Chancen hat, denn wenn es wichtig sein soll, Minifraktionen in Räten zuzulassen, um keine Wählerstimme auszuschließen, um wie viel wichtiger ist es dann erst, bei einer Bürgermeister_inne-Wahl keine potentielle alternative Mehrheit gegenüber einem ersten Wahlgang (und die entsprechenden Wähler_innen-Stimmen) auszuschließen.