bürgerforum: programmatische Neuaufstellung?
Im WAZ-Artikel vom 15.2.20 („Bürgerforum stellt sich neu auf“) fühlt sich der frisch gekürte Bürgermeisterkandidat und 2. Vorsitzende des bürgerforums Herr Strautz zu der Äußerung bemüßigt, das „Gesundheitsthema“ sei nach wie vor wichtig, es seien aber neue Themen hinzu gekommen. Stadtentwicklung, Klima und Verkehr würden jetzt ebenfalls im Vordergrund stehen.
Ich stutze. Die letztgenannten Themen würden „jetzt“ ebenfalls im Vordergrund stehen? Kennt der 2. Vorsitzende sein eigenes Programm nicht? Dort ist lang und breit die Rede von Stadtentwicklung, Klima und Verkehr – neben anderen, nicht minder wichtigen Themen wie z.B. Stadtverwaltung und Finanzen. Hier das noch geltende Wahlprogramm des bürgerforums (auf der Website-Ruine des bürgerforums noch abrufbar):
→Programm für die Kommunalwahl 2009/14: Programm_Bürger_Forum-2009-2014
Allerdings ist es ein Unterschied, ein Wahlprogramm zu haben – das gegenwärtige ist übrigens 2014 auf der damaligen Website des bürgerforums häufig aufgerufen worden ist und hat sicher zum Wahlerfolg beigetragen – und es dann auch zu lesen, zu verstehen und umzusetzen.
Fazit: Bevor von Neu-Aufstellung schwadroniert wird, sollte mensch sich mit Vorhandenem vertraut machen.
Oder ist dies gar nicht gewollt und wird die sog. Neu-Aufstellung auf ein programmatisches bürgerforum-light (unverbindliches Wortgeklingel) hinaus laufen? Die im Artikel angesprochenen programmatischen Vorstellungen des Bürgermeisterkandidaten, auf die ich noch in einem Folgebeitrag eingehen werde, legen diesen Verdacht nahe.
Wohnungsbedarf bis 2030 geringer als prognostiziert
Vor kurzem äußerte der Kämmerer beiläufig, die Einwohnerzahl Wittens würde aktuell bei 96.000 Einwohnern liegen. Die Zahl ist u.a. wichtig, weil sie alles, was bisher vollmundig über den Wohnungsbedarf in Witten bis 2030 verkündet wurde, in Frage stellt. Bisher wurde dieser Bedarf von 1600 neuen Wohnungen und Häusern wie ein Mantra von der Stadtspitze verkündet.
Wie diese Bedarfsprognose zustande kam, macht eine Äußerung des Stadtbaurats deutlich: „Stadtbaurat Stefan Rommelfanger betont, dass man bei den Berechnungen davon ausgehe, dass man Wittens Einwohnerzahl bis 2030 stabil bei 98.000 halten könne.“ (Von mir am 11.6.2018 in meinem Beitrag „1600 neue Wohnungen und Häuser bis 2030?“ zitiert).
Ich hatte in dem genannten Beitrag schon darauf hingewiesen, dass in der Wohnungsbedarfsanalyse des „Handlungskonzepts Wohnen“ mehrere Szenarien analysiert worden sind, darunter auch ein Szenario mit ca. 96.000 (genau: 95.700, Handlungskonzept Wohnen S. 82 oben) Einwohnern. In diesem Szenario wird davon ausgegangen, dass die 600 erforderlichen zusätzlichen Einheiten aus dem Ersatzbedarf gedeckt werden können: → Handlungskonzept-Wohnen.
Das „95.700-Einwohner-Szenario“, also Bedarfsdeckung aus dem Ersatzbedarf, dürfte bei 96.000 Einwohnern greifen. Wobei davon auszugehen ist, dass in der Tendenz die Einwohnerzahl Wittens sich noch weiter vermindern wird (Sterberate über Geburtenrate). Der beschworene Bedarf an 1600 neuen Wohnungen und Häusern bis 2030 hat sich also innerhalb von ca. 2 Jahren in Luft aufgelöst!
Damit bestreite ich nicht, dass es einen zunehmenden Bedarf an preiswertem Wohnraum gibt. Dem ist allerdings nicht durch überschüssigen Zubau und damit verbundene Kollateralschäden (z.B. klimaschädlichen Flächenverbrauch) beizukommen, sondern durch andere Regelungen, die eine erschwingliche Miete im Bestand sichern (siehe dazu mein Beitrag „Sozialwohnungen – eine Lösung für die Aufhebung des zu erwartenden Mangels an bezahlbarem Wohnraum für ärmere MieterInnen*?„/2.2.18).
bürgerforum: Keine Ärztepartei mehr?
In der WAZ vom 15.2.20 („Bürgerforum stellt sich neu auf“) schwadroniert der 1.Vorsitzende des bürgerforums, Herr Harald Kahl, das bürgerforum wolle weg von seinem Ruf als Ärztepartei.
Ich bin irritiert und frage mich, warum Herr Kahl die Etikettierung „Ärztepartei“ so prominent aufgreift?
Faktisch ist das bürgerforum personell und in seinem politischen Engagement zu keiner Zeit eine „Ärztepartei“ gewesen, sondern – in diffamierender Absicht? – von politischen Konkurrenten so tituliert worden. Um sich davon zu überzeugen, hätte Herrn Kahl eigentlich ein Blick auf die zurückliegenden Kandidaturen genügen müssen: Kommunalwahl 2009: Wahlbezirke: von 26 Bezirken 8 Ärzte (ca. 31%); Reserveliste: von 20 Listenplätzen 7 Ärzte (35%). Kommunalwahl 2014: Wahlbezirke: von 26 Bezirken 14 Ärzte (ca. 54%); Reserveliste: von 24 Listenplätzen 12 Ärzte (50%).
Das Engagement von Ärzten zumindest bei den Wahlen war sicher überproportional, aber warum nicht? Zum Wahlerfolg des bürgerforums bei beiden zurückliegenden Wahlen haben Ärzte nicht überproportional, aber auch beigetragen. Entscheidend bei dem besonders guten Abschneiden bei den Kommunalwahlen 2014 waren aber aus meiner Sicht nicht die Zahl der beteiligten Ärzte, sondern ein intensiv geführter Wahlkampf, Spitzenergebnisse in einigen Wahlbezirken (siehe die Rankingliste des bürgerforums*), ein gutes Programm und natürlich – last but not least – die Schwäche der Konkurrenz.
Und die Politik? Die spielte sich in den beiden zurückliegenden Wahlperioden im Wesentlichen in den Bereichen Stadtentwicklung, Umwelt, Verkehr und Kultur ab. (mehr …)
Keine Unterstützung
Das musste ja sein. Jetzt hat das bürgerforum also einen eigenen Bürgermeisterkandidaten gekürt, wie die WAZ am 15.2.20 meldet („Bürgerforum stellt sich neu auf“). Eine Mitgliederversammlung (13 Anwesende nach meinen Informationen) hat Herrn Strautz als Kandidaten auf den Schild gehoben („mit großer Mehrheit“, wie die WAZ schreibt).
Herr Strautz ist kommunalpolitisch vollkommen unbeleckt und sicher nicht im Ansatz in der Lage, als hauptamtlicher Bürgermeister eine einigermaßen verantwortliche Amtsführung angesichts der vielfältigen Problem dieser Stadt zu garantieren. Er ist also ein reiner „Präsenz-Zeigen-Kandidat“. Soweit formal.
Und die bisherige politisch-inhaltliche Leistungsbilanz des Kandidaten? Die ist für eine Bürgermeisterkandidatur wenig überzeugend: Es gehört schon ein gerüttelt Maß an Chuzpe und /oder Naivität dazu, Sagentage und „Kulturschock“ als Meriten anzuführen.
Grundsätzlich: Ich halte nichts von solchen „Präsenz-Zeigen-Kandaturen“, weil sie unernst sind und die Bedeutung des Amts für die Stadt abwerten, und ich halte nichts von Kandidat_innen, die über keinerlei kommunalpolitische Qualifikation verfügen. Es „kann“ eben nicht jede/jeder „Bürgermeister_in“. Deshalb werde ich die Bürgermeisterkandidatur von Herrn Strautz nicht unterstützen.
Meine Empfehlung an Herrn Strautz alternativ zur Bürgermeisterkandidatur: Er ist seit noch nicht allzu langer Zeit sog. sachkundiger Bürger in diversen Ausschüssen, also nicht bei einer Kommunalwal gewählt. Statt gleich das Bürgermeisteramt ins Auge zu fassen, täte er gut daran, ganz bescheiden erst einmal nur in einem Wahlbezirk für den Stadtrat zu kandidieren und sich möglicherweise als Ratsmitglied wählen zu lassen. Wird er dann gewählt, hätte er 5 Jahre Zeit, kommunalpolitische Erfahrungen zu sammeln. Das wäre doch ein Anfang.
GroKo: Jetzt getrennt marschieren, …?
Am 12.2.20 vermeldet die WAZ „GroKo beendet ihre Zusammenarbeit“. Herr Augstein-Peschel findet die Trennung überraschend, ich nicht. Für die jetzige Trennung gibt es zwei Motive: Erstens sind die die GroKo bildenden kommunalen Parteien (SPD und CDU) natürlich Einflüssen der Bundes- und Landespolitik ausgesetzt, und da zeichnen sich stärker werdende Differenzen ab. Und zweitens stehen im September diesen Jahres in Witten Kommunalwahlen an, die ein irgendwie geartetes Eigenprofil der bisher an der GroKo-Einheit beteiligte Parteien erfordern. Sonst wüsste ja die Wählerin/der Wähler kaum, warum sie/er SPD oder CDU (heißt: die jeweiligen Kandidat_innen n den Wahlbezirken) wählen soll. Beide kann er schließlich nicht wählen.
Mit der Erfolgsbilanz der 6-jährigen Amtszeit will ich mich hier nicht auseinandersetzen. Da ist sicher einiges passiert, mit dem ich nicht einverstanden war. Nur als prominentes Beispiel: Die klimaschutzschädliche Aufweichung der Baumschutzsatzung. Richtig ist sicher, dass es sich um eine „Vernunftehe“ gehandelt hat. Denn angesichts der Wahlergebnisse und des Tohuwabohus der sog. Opposition wäre die Herstellung von Ratsmehrheiten in schwere Wasser geraten. Für die Stadt sicher nicht zuträglich. Ein paar Punkte an der „Erfolgsbilanz“ möchte ich aber doch richtig stellen:
Stärkungspakt: Wie Herr Noske auf 70 Mio. Zuschuss aus dem Stärkungspakt kommt, ist mir ein Rätsel. Witten war eine der wenigen Städte in NRW, die pflichtig dem Stärkungspakt (übrigens ein Programm aus der rot-grün Phase in NRW) beitreten mussten*, weil die Stadt seit 2010 überschuldet war (kein Eigenkapital mehr). Der jährliche Zuschuss von 2011 bis 2016 belief sich auf 7,2 Mio. €, dann 2017 degressiv ca. 5,6 Mio., 2018 ca. 4 Mio., 2019 ca2,7 Mio. und 2020 ca. 1,3 Mio. €. 2021 muss der Haushalt ohne Zuschuss ausgeglichen sein. Das macht nach meiner Rechnung über die Jahre nicht 70 Mio., sondern ca. 49,6 Mio.**. (mehr …)