Was bedeutet der Stärkungspakt für Witten?

Die Stadt Witten hat sich – zum großen Teil selbst verschuldet – in eine schwere Finanzkrise hinein manövriert. Der Stärkungspakt ist eine Hilfe, weil er für die Stadt 7,2 Mio. €/Jahr bis 2016 als Zuschuss bereit stellt (nach 2016 zurückgehend bis 2021). Allerdings ist der Zuschuss zu Recht mit disziplinierenden Auflagen verbunden, um eine weiteres Ausufern der Schulden zu unterbinden.

Die disziplinierenden Auflagen führen dazu, dass in Zukunft weniger Geld für öffentliche Ausgaben (Dienstleistungen und Infrastruktur) zur Verfügung stehen wird. Deshalb wird es in den nächsten Jahren verschärft darum gehen, wer für das über Jahrzehnte aufgelaufene Finanzdesaster zur Kasse gebeten wird: die Bürgerinnen und Bürger oder diejenigen, die in der zurück liegenden Zeit trotz absehbaren bitteren Endes ungestört und ungehemmt schuldenfinanziert profitiert haben.

Ist der jährliche Zuschuss von 7,2 Mio. € bis 2016 durch den Stärkungspakt ein Grund zur Freude für die Stadt Witten?

Antwort: Ja und Nein.

Ja, weil die Stadt, nachdem alte und neue Verwaltungsspitzen und politische Mehrheiten im Rat die Finanzen gegen die Wand gefahren haben (Überschuldung seit 2009/10), hoffentlich endlich zur Haushaltsdisziplin gezwungen wird (Sanierungsplan mit dem Ziel eines ausgeglichenen Haushalts → bis 2016 mit Zuschuss, bis 2021 ohne Zuschuss, und eines wirksamen Abbaus der laufenden Verschuldung → Liquiditätskredite).

→ Link: Etatrede_StK_Kleinschm_633a

Faktisch handelt es sich ja nicht um einen Zuschuss mit dem Ziel einer Qualitätserhaltung oder -steigerung wie z.B. bei Städtebauförderungsmitteln, sondern um eine Verminderung der sonst exorbitant steigenden Liquiditätskredite (und der damit verbundenen steigenden Zinszahlungen → siehe dazu die Prognose des Kämmerers in seine Einbringungsrede zum Haushalt 2012). Das Geld fließt also nicht einmal in den absoluten Schuldenabbau (der dürfte erst nach Erreichen des originären Haushaltsausleichs – prognostiziert 2021 – beginnen), sondern nur in die relative Schuldenverminderung (Verringerung der Liquiditätskredite + Zinszahlungen).

Insofern war die Vorstellung, man habe nach Genehmigung des Haushalts bei Mehreinnahmen sozusagen wieder freie Hand für Ausgaben (CDU-Antrag vom 18.6.2012, unterstützt durch Grüne und WBG), von vornherein eine Fehlinterpretation des Stärkungspakts und lässt sich nur mit der Illusion eines notorischen Schuldners erklären, er habe in der Vergangenheit alles richtig und gut gemacht und deshalb einen unbegrenzten Anspruch auf mehr Geld – egal ob erwirtschaftet und über vertretbare Einnahmen aus Steuern und Abgaben abgedeckt oder über Schulden.

→ Link: Datei prawda 26.6.12

Für die Überschuldung und gegenwärtige finanzielle Misere Wittens gibt es übrigens eine klare politische Verantwortung – und die liegt angesichts der extremen Schieflage des Wittener Haushalts im Gegensatz zu der in Witten immer wieder vorgetragenen Behauptung nicht in erster Linie bei Land, Bund, Kreis, Landschaftsverbänden etc. etc., sondern bei denjenigen, die sich kontinuierlich verschlechternde Haushalte über Jahre vorgelegt und unkritisch akzeptiert haben.

→ Link: Datei Stärkungspakt Prognose

Die jahrelang in diesem Haus praktizierte Übung, die Schuld für das wachsende Desaster immer bei anderen zu suchen, ist aktuell offenbar nur noch Witten-intern erfolgreich und zieht glücklicherweise nach außen nicht mehr. Deshalb auch die relativ gnadenlose Haltung der Bezirksregierung gegenüber Witten, die den Top-Platz Wittens im Schuldnerranking natürlich realistisch einschätzen kann.

Für die Zukunft heißt das leider: Der Stärkungspakt wird das Finanzgebaren der von Verwaltungsspitze und Rat mit kommunalaufsichtlich engster Begleitung bis 2021 wie ein Korsett begleiten.

Man könnte dies auch als selbstverschuldete Entmachtung bezeichnen.

Dabei interessiert sich die Kommunalaufsicht in erster Linie für die Aggregatgrößen, letztlich nur für den Haushaltsausgleich, und nicht für den konkreten Weg, wie dieser erreicht wird – also wie die Lasten verteilt werden und wer in erster Linie bluten muss.

Insofern wird der fiskalische Spielraum von Verwaltungsspitze und Rat extrem eingeengt sein und sich politisch weitgehend auf die Lastenverteilung beim mühsamen Weg aus dem Desaster beschränken müssen.

Und da kommen wir zum Nein.

Die Kernfragen jenseits von Illusionen und Schönfärberei können doch nur sein:

1. Wo liegen die strukturellen Ursachen für die Finanzmisere? Eine wirksame Konsolidierung kann nur gelingen, wenn diese schonungslos offen gelegt (auch öffentlich) und angegangen werden.

2. Wie lässt sich eine Unwucht bei der Verteilung der Lasten vermeiden (Unwucht: Schonung der Verwaltung, Belastung der Bürgerinnen und Bürger)?

3. Wie lässt sich angesichts der Finanzmisere möglichst viel Lebensqualität für die Bürgerinnen und Bürger sichern?

Der letzt Haushalts- und Sanierungsplan zeichnete sich durch eine erhebliche Unwucht bei der Lastenverteilung aus:

– Die wesentliche strukturelle Ursache (bekanntermaßen die Personalkosten, s. auch S. 8 des Genehmigungsbescheids, neben der musealen Verwaltungsstruktur) ist nicht hinreichend und wirksam angegangen worden. Daher ist zu erwarten, dass z.B. über Gehaltserhöhungen nach erneuten Tarifverhandlungen ein relevanter Teil der Konsolidierungseffekte konterkariert wird und anderweitig aufgefangen werden muss.

→ Link: Datei Stärkungspakt Auswirkungen Tariferhöhungen

→ Link: Datei prawda 18.6.12

→ Link: Datei prawda 26.6.12

→ Link: Datei prawda 27.6.12

→ Link: Datei prawda 21.12.12

– Der einfachste Konsolidierungspfad ist gewählt worden: Mehrbelastung der Bürgerinnen und Bürger. Bei abzusehender Verschärfung der Situation wird diese Tendenz noch zunehmen (wachsende Unwucht in der Lastenverteilung). Mehrbelastung bedeutet finanzielle Mehrbelastung, aber auch Reduktion der Dienstleistungsstandards (s. S. 7 des Genehmigungsbescheids – aber wo bleibt das Benchmarking?).

→ Link: Datei GenehmigungHaushalt2012

→ Link: Datei Haupteckpunkte Sanierungsplan 14.6.12

Der Wittener Haushalt befindet sich seit 1992 in kontinuierlichem Absturz (man muss sich das als Absturz in Zeitlupe vorstellen) mit dem bitteren Ende Überschuldung (s.o.) und pflichtige Teilnahme am Stärkungspakt. An dieser Talfahrt sind alle politischen Formationen mit schuldig, die in dieser Zeit mit den skurrilsten Begründungen (Höhepunkt: das Märchen von Frau Legel-Wood – Fraktionsvorsitzende der Grünen – als Haushaltsrede bei der Verabschiedung des Haushalts 2012, zu bewundern auf der homepage des OV B’90/Die Grünen Witten) wachsend maroden und perspektivlosen Haushalten zugestimmt haben.

Da die Finanzkrise sich aber nicht mehr verdecken lässt, werden die zynischen Übungen in Schönfärberei immer hektischer. Zur Erinnerung: Das Unwort des Jahres 2010 war „alternativlos“. Eben ein Unwort, weil es für eine politische Positionierung immer Alternativen gibt.

Um noch einmal auf die Ausgangsfrage zurück zu kommen: Faktisch bedeutet der Stärkungspakt nicht mehr, sondern weniger Geld für die Stadt – hört sich paradox an, ist aber so, weil das Generieren von Geld über weitere ungezügelte Verschuldung durch das Land (Bezirksregierung, Kommunalaufsicht) kontrolliert und mittel-/langfristig hoffentlich  unterbunden wird. D. h. die zur Verfügung stehende Geldmenge wird sich reduzieren.

Umso wichtiger ist es, die Frage der Lastenverteilung im Interesse der Bürgerinnen und Bürger zu beantworten.

Ergänzung:

→ Link: Leserbrief WAZ 29.11.12

→ Link: Leserbrief WAZ 19.12.12

Siehe zu diesem Themenkomplex meine  Beiträge „Nach uns die Sintflut …„/April 2013, „Schwebt unsere Bürgermeisterin …„/Mai 2013, „Das Unglück nimmt seinen Lauf„/August 2013, „Ausgepresst wie eine Zitrone?…„/August 2013, „Stärkungspakt – Teufelswerk?„/Oktober 2013, „Tarifverhandlungsbedingte Tariferhöhungen der Stadtverwaltung – alles easy?„/November 2013, „Haushalt 2014 – Sparkommissar ante portas?„/November 2013 und „Mit vodoo zur Haushaltsgenehmigung?„/Dezember 2013