Nach uns die Sintflut – Wie die Spitze der Wittener Stadtverwaltung tickt

Die Wittener Stadtverwaltung ist ein eigen Ding. Parallel zur Personalkostenentwicklung lässt sich – vorsichtig formuliert – eine erhebliche Widerständigkeit gegen jeglichen Versuch einer Verwaltungsmodernisierung (Erhöhung der Effizienz und Effektivität) feststellen.

Seit ca. 20 Jahren (1992 erster Versuch, durch eine externe Organisationsuntersuchung Licht ins Dunkel der Verwaltungsorganisation zu bringen) gelingt es der Wittener Verwaltung im Wesentlichen erfolgreich, jeden Versuch einer Modernisierung und damit verbundenen Kostensenkung (sei es aus dem politischen Raum, sei es ausgehend von einer wechselnden Verwaltungsspitze oder der Aufsichtsbehörde) abzublocken oder zu unterlaufen. Während der Prozess der Verwaltungsmodernisierung in anderen Städten schon weit fortgeschritten ist (natürlich verbunden mit entsprechenden Kostenvorteilen), pflegte Witten den Stillstand.Herausgekommen beim Nichtstun ist ein für die Bürger kostenträchtiges Verwaltungsmuseum, innerhalb dessen Veränderungen ohne mittel- bis langfristiges Konzept zufällig, d.h. durch nicht gesteuertes Ausscheiden von Personal und Finanzengpässe bedingt, ablaufen. Devise offenbar: Nach uns die Sintflut (bei einem Durchschnittalter von ca. 50 Jahren).

Link. prawda 19.6.12

Unser Papier dokumentiert den gescheiterten letzten Versuch einer im Konsens gesteuerten Verwaltungsmodernisierung aus dem Jahr 2006. Vorgeschichte: Im Jahr 2000 (unter dem Lohmann-Regime) beschließt der Rat mit breiter Mehrheit erneut eine umfassende Organisationsuntersuchung. Statt den Beschluss umzusetzen, arbeitet die Verwaltungsspitze mit bekannten fragwürdigen Argumenten (zu teuer, können wir selbst) den Beschluss klein. Heraus kommt die externe Beauftragung einer extrem abgespeckten sog. prozessbegleitenden Untersuchung von drei Ämtern.

Pech für die Verwaltung: Das Manöver des Kleinarbeitens gelingt angesichts der Realitäten nur teilweise. Der (leider nicht öffentlich gemachte) Abschlussbericht des beauftragten Unternehmens fällt äußerst kritisch aus. Er enthält neben vielen anderen Forderungen die nach Entwicklung eines Leitbilds. Damit ist nach unserer Interpretation die Entwicklung eines strategischen Leitbilds der Stadtverwaltung Witten gemeint, das Ziele und Schwerpunkte der Organisationsentwicklung der Stadtverwaltung präzisiert, um Steuerung des Entwicklungsprozesses und eine geordnete Personalentwicklung zu ermöglichen.

Zur weiteren Bearbeitung der Untersuchungsergebnisse wird eine Kommission eingerichtet.

Was passiert? Die – kritischen – Ergebnisse der Untersuchung sind in der Kommission überhaupt nicht Thema. Stattdessen präsentiert die Verwaltungsspitze in interessierter Fehlinterpretation der Vorschläge des Abschlussberichts einen Leitbildentwurf als Good-Will-Erklärung der Verwaltung (Freundlichkeit gegenüber den „Kunden“ und ähnlicher eigentlich selbstverständlicher Firlefanz).

Link: Selbstversttändigungspapier 28.02.06

Abgesehen davon, dass die strategische Aufgabe auch nicht in Ansätzen aufgegriffen wird, und abgesehen von einem hochproblematischen politischen Selbstverständnis – siehe dazu unser Papier-, liegt hier erneut eine Abwehr von Steuerung und Transparenz vor. Trauriger Höhepunkt dieser Abwehr: Nachdem das Papier in die Kommission eingebracht worden ist, stellt die Kommission – offenbar ob der Kritik beleidigt – ihre Arbeit ein! Abschließendes Highlight des Spielchens der Verwaltung in dieser Angelegenheit auf Kosten der Politik und der Bürger:

Auf eine Anfrage: „Ist beabsichtigt, in nächster Zeit ein Leitbild der Entwicklung der Verwaltung (wie im Abschlussbericht von Trebesch & Partner gefordert) zu erarbeiten? Wenn ja, welche Arbeitsschritte sind in dieser Hinsicht geplant?“ antwortete die Bürgermeisterin (und damalige Personaldezernentin): „Seitens der Verwaltung ist ein Leitbild entwickelt worden und zur weiteren Abstimmung in den politischen Prozess eingebracht worden. Den Stand der Diskussion setze ich als bekannt voraus.“ Der Stand der Diskussion war bekannt (s.o.). An der Schule hätte man wohl in solch einem Fall entschieden: Thema verfehlt, fünf!

Dem entsprach das die Farce abschließende Statement der Bürgermeisterin auf die Frage: „Ist beabsichtigt, auf der Basis eines solchen Leitbild in nächster Zeit ein differenziertes Personalentwicklungskonzept vorzulegen?“. Antwort:  „Sobald ein gemeinsam getragenes Leitbild verabschiedet worden ist, stellen sich die weiteren Fragen zur inhaltlichen Ausgestaltung“.

Wie gesagt: Nach uns die Sintflut.

Die beschriebenen Vorgänge haben sich 2006 zugetragen. Seitdem sind 7 Jahre vergangen, und die Sintflut nähert sich – sprich: chronische Finanzmisere, Überschuldung und Reformstau führen zu einem langsamen und ungeordneten Zerbröckeln des Museums (zu diesem Themenkomplex siehe unser Papier „Stärkungspakt/Prognose: 4. Auswirkungen der Finanzmisere auf die Wittener Verwaltung“). Leidtragende von Reformunwillen und Inkompetenz sind wie immer die Bürgerinnen und Bürger, die nicht nur mit laufenden Fehlentscheidungen konfrontiert werden, sondern bei wachsenden Kosten auch noch erhebliche Einschränkungen der Leistungen des „Modernen Dienstleistungsunternehmens Stadt Witten“ (das ist Ironie!) hinnehmen müssen.

 Hinweis:

Link: Stärkungspakt Prognose

  • Seit 2002 kein genehmigtes Haushaltssicherungskonzept (genehmigter Haushalt).
  • Mindestens seit 2002 bis auf wenige Ausnahmen „closed shop“. Kein frischer Wind von außen. Stellen werden intern nach internem Bewerbungsstand, nicht nach bester Qualifikation besetzt.
  • Wachsender Altersdurchschnitt (dürfte aktuell bei ca. 50 Jahren liegen). Zunehmende Pensions- und Rentenorientierung.
  • Weitgehende Unkündbarkeit (nach TÖVD nach 15 Jahren).
  • Durch Altersteilzeit „wilde“ Lücken in der Verwaltung ohne die Möglichkeit, durch Neueinstellung Engpässe auszugleichen.
  • Keine hinreichende Nachwuchsqualifikation (Ausbildung) mehr.
  • Chronologie Defizit/Verwaltungsstrukturreform

Jahr

Reform

Defizit

Haushaltsverabschiedung

1992

Auftrag des Rates an Verwaltung: externe Org. Untersuchung*; Angebote lagen vor;1993 auf Betreiben des damaligen Stadtdirektors zugunsten der 58er-Regelung gecancelt

ca. 23 Mio. DM

 

1994

Neuer Stadtdirektor; durch „Doppelmacht“ (Bürgermeister versus Stadtdirektor) blockiert

 

 

1999

hauptamtl. Bürgermeister Lohmann

 

2000: 23.10./genehmigt

2001: 28.05./genehmigt

2002: 18.11./nicht genehmigt

2003/4: 28.07.03./nicht genehmigt

2000

Mehrheitlicher Beschluss des Rates: externe Org. Untersuchung*; durch die Verwaltung auf 3 Ämter klein gearbeitet

 

 

2005

Abschlussbericht des beauftragten Beraterbüros: vernichtend

 

 

2004

hauptamtl. Bürgermeisterin Leidemann

 

2005: 27.06./nicht genehmigt

2006/7: 03.04.06./nicht genehmigt

2008: 21.04./nicht genehmigt

2009

2010: 08.03./nicht genehmigt

2011: 07.12./nicht genehmigt

2005

1. GPA-Bericht

 

Witten nimmt einen absoluten Spitzenplatz bei den Personalausgaben/Einwohner ein/300 Stellen über einer mittleren Vergleichskommune

2006

Posse Selbstverständigungspapier

 

Auftrag des Beraterbüros missverstanden: Statt strategisches Konzept für Verwaltungsentwicklung commitment-Papier

2006

Gründung der AöR Kulturforum

 

 

2010

2. GPA-Bericht

 

Witten nimmt weiterhin einen absoluten Spitzenplatz bei den Personalausgaben/Einwohner ein/200 Stellen über einer mittleren Vergleichskommune

2011

Stärkungspakt, Verabschiedung des Haushalts 2012 auf Mai 2012 verschoben (Doppelhaushalt)

ca. 40 Mio. €

 

*Externe Organisationsuntersuchung (Transparenz und Grundlage für Entwicklungskonzept) 1992 und nach 2000 abgewehrt.

Zum Projekt „Extern unterstützte Organisationsentwicklung“ meine versuchten Interventionen:

→ Link: Mein Versuch 2001, in dieser Angelgenheit eine Kooperation zwischen Stadt und Uni zu erreichen („Uni meets Stadt/Stadt meets Uni“) Projekt extern unterstützte Organisationsentwicklung 2001

→ Link: Mein Brief an den Regierungspräsidenten 2002 Projekt Organisationsuntersuchung Brief an Regierungspräsidenten 2002

Siehe zu diesem Themenkomplex meine  Beiträge „Nach uns die Sintflut …„/April 2013, „Schwebt unsere Bürgermeisterin …„/Mai 2013, „Das Unglück nimmt seinen Lauf„/August 2013, „Ausgepresst wie eine Zitrone?…„/August 2013, „Stärkungspakt – Teufelswerk?„/Oktober 2013, „Tarifverhandlungsbedingte Tariferhöhungen der Stadtverwaltung – alles easy?„/November 2013, „Haushalt 2014 – Sparkommissar ante portas?„/November 2013 und „Mit vodoo zur Haushaltsgenehmigung?„/Dezember 2013