Wittener Haushaltskrise: Rettungsschirme ohne Ende?

Ergänzung 30.5.20: Im Zusammenhang der Wittener Haushaltskrise möchte ich wegen ihrer Aktualität auf meine zurückliegenden Beiträge „Wittener Finanzmisere – Kein Licht am Ende des Tunnels?“/30.11.15 und „Wittener Haushalt – Licht am Ende des Tunnels, aber wie?“/6.1.16 verweisen.

Es sieht wahrlich nicht gut aus: Ohne Rettungsschirm dürfte die Lage des städtischen Haushalts sich dramatisch zuspitzen. Der Kämmerer beziffert das Defizit ohne Corona-Hilfe auf 20 Mio. € (WAZ-Online 19.5.20 „Witten: Gewerbesteuer bricht wegen Corona um 40% ein“ Witten_ Gewerbesteuer bricht wegen Corona um 40 Prozent ein). Dazu von mir einige Anmerkungen:

Der Haushaltsausgleich als Voraussetzung für eine Haushaltsgenehmigung ist in den letzten Jahren – mit den Zuschüssen des Stärkungspakts! – nur kapp erreicht worden. Die Stadt Witten wirtschaftet seit langer Zeit unterm oder am Limit. Das hätte sich auch ohne Corona in den nächsten Jahren mit vielleicht knapp genehmigten Haushalten nicht geändert.

Der Corona-Schock trifft also auf einen eh schon extrem ungesunden Haushalt, der – wir erinnern uns – die Genehmigungsfähigkeit nur durch drastische Steuererhöhungen erreicht hat. Und jetzt? Wie weiter?

Der Kämmerer hofft auf einen von Finanzminister Scholz angekündigten Rettungsschirm. Was ist da zu erwarten? Das Scholz-Konzept des Rettungsschirms beruht auf zwei Säulen: 1. Einer aktuellen Corona-Hilfe und 2. der Übernahme der Altschulden durch Bund und Land (WAZ-Online 22..5.20 „SPD trommelt für den kommunalen Rettungsschirm“ SPD trommelt für den kommunalen Rettungsschirm).

Zu 1.: Ich gehe davon aus, dass es eine aktuelle Corona-Hilfe geben wird. In welcher Höhe, wird sich zeigen. Allerdings muss zur Einschätzung der Wittener Haushaltslage der Hinweis des Kämmerers (siehe oben WAZ-Online 19.5.20) berücksichtigt werden, dass der Einbruch der Gewerbesteuern auch durch die Exportlastigkeit Wittener Unternehmen bedingt wird. Die vielgerühmte Weltmarktführung und -orientierung ist also im Zuge der globalen Wirtschaftskrise zum Problem geworden.

Da aus meiner Sicht zu erwarten ist, dass die Wirtschaftskrise auch noch die nächsten Jahre prägen wird, werden auch in den nächsten Jahren die Gewerbesteuereinnahmen in erheblichem Ausmaß wegbrechen (Süddeutsche Zeitung 18.5.20: „Es ist naiv zu glauben, dass sich die Wirtschaft schnell erholen wird“ Corona_ Die Wirtschaft wird sich nicht schnell erholen). Folge: Es wird mindestens über längere Zeit zu massiven Defiziten im Haushalt der Stadt kommen. Wie sollen die dann ausgeglichen werden?* Denn dass die Rettungsschirme auf Dauer gestellt werden, kann ich mir nicht vorstellen.

Zu 2.: Darauf, dass die Übernahme der Altschulden nicht viel für die Kompensation des aktuellen Defizits bringen würde, weist selbst der Wittener Kämmerer hin. Darüber hinaus glaube ich nicht, dass sich dieses Scholz-Konzept angesichts der Kritik und der Hürden durchsetzen lässt (Spiegel 17.5.20 „CDU und CSU kritisieren Milliarden-Schutzschirm für Kommunen“ Olaf Scholz_ CDU und CSU kritisieren geplanten Milliarden-Schutzschirm für Kommunen).

Aber selbst wenn, möchte ich aus eine alten Beitrag von mir zitieren („Was bedeutet der Stärkungspakt für Witten?“/12.3.13, Link: Stärkungspakt Prognose): „Die Verschuldung der Kommunen weist eine große Heterogenität hinsichtlich Niveau, Struktur und Entwicklung auf. … Vor diesem Hintergrund lassen sich gemeinde- oder raumtypenspezifische Strukturen kaum identifizieren. Hier sind einzelfallorientierte Analysen zum kommunalen Entscheidungsverhalten notwendig**. Diese Determinante der Verschuldungstätigkeit ist bislang offensichtlich unterschätzt worden.“ (aus: Kommunaler Schuldenreport/Prof. Dr. Martin Junkernheinrich/Bertelsmann-Stiftung/2010).

Um nach Schuldenübernahme durch Bund und Land ein erneutes Einsetzen der Verschuldung der Stadt Witten und damit der „alten Scheiße“ (K. Marx, Deutsche Ideologie, MEW 3, S. 34/35) zu verhindern, müssten die spezifisch örtlichen, die Verschuldung verursachenden Faktoren analysiert und wirksam Schulden mindernd bearbeitet werden.

Im übrigen muss gerechterweise auf den unterschiedlichen Grad der Verschuldung der BRD-Kommunen verwiesen werden. Wie die WAZ (siehe oben WAZ-Online 22.5.20) richtigerweise anmerkt: „Vor der Altschuldenfrage sind in vier Bundesländern (NRW, Rheinland-Pfalz, Saarland, Hessen) „nur“ 2000 der bundesweit 11.000 Kommunen betroffen.“

Mein Fazit: Die Hoffnung stirbt zuletzt, heißt es. Aber Hoffnung ist nur ein Affekt. Real sind die Aussichten für die städtischen Finanzen düster. Deshalb wäre es sinnvoll und dringend nötig, über Pläne B und C nachzudenken, wenn der best case (volle Umsetzung des Scholz-Konzepts, dauerhafte Defizitkompensation durch Bund und Land) nicht eintritt. Aber angesichts der anstehenden Kommunalwahlen wird das wohl ein frommer Wunsch bleiben, weil dann heilige Kühe in den Fokus geraten würden.

Was gar nicht geht, sind leere und unverantwortliche Versprechungen z.B. in Richtung Steuersenkung, die nur die finanzpolitische Inkompetenz der Versprechenden offenbaren. Beispiele: Siehe in der WAZ-Online vom 10.1.20 „Wofür sich die kleineren Parteien 2020 stark machen“ (Witten_ Wofür sich die kleineren Parteien 2020 stark machen) die Versprechungen des bürgerforums und der WBG, siehe in der WAZ-Online vom 25.5.20 „Witten: Zahnarzt aus Annen will Bürgermeister werden“ (Witten_ Zahnarzt aus Annen will Bürgermeister werden) die Versprechungen des Bürgermeisterkandidaten der WBG.

Grundsätzlich kann ich dem Kommentator KalleBlomquist in der WAZ -Online vom 25.5.20 im Fall Surrey, aber auch anderen***, nur recht geben: „Surrey sollte aufpassen und sich nicht blamieren! Die Stadtverwaltung und die Bürgerschaft von Witten braucht erfahrene Leute, mindestens mit juristischen, volkswirtschaftlichen und kommunalpolitischen Erfahrungen. …. Politclowns können wir in Witten nicht gebrauchen.“

*Einsparungen? Steuererhöhungen? Neue Schulden? Das Instrumentenset ist begrenzt. Derartige Maßnahmen sind schon – gemessen am Konsolidierungsziel mehr oder weniger erfolglos – in der Vergangenheit praktiziert worden und dürften speziell in der gegenwärtigen Sitzation mit erheblichen unerwünschten und negativen Nebenwirkungen verbunden sein.

**Schwärzung von mir

***Gilt auch für Bürgermeister- und Stadtratskandidat_innen