Wittener Finanzmisere – Kein Licht am Ende des Tunnels?

Ich betone immer die Sondersituation Wittens bzgl. der finanziellen Schieflage des städtischen Haushalts. Wie groß diese Schieflage tatsächlich ist, lässt sich an Folgendem verdeutlichen:

In ihrer Abhandlung „Ursachen kommunaler Haushaltsdefizite“ (in PVS, 55.Jg., 4/2014, S. 614-647) unterscheiden die Autoren Jörg Bogumil/Lars Holtkamp/Martin Junjernheinrich/Uwe Wagschal zwischen kommunaler Konkordanz- und Konkurrenzdemokratie*.**

Der Argumentation ist zu entnehmen, dass Konkordanzdemokratie zumindest als ein wesentlicher Faktor für die Überwindung finanzieller Schieflagen unterstellt wird. Als Beispiel wird eine süddeutsche Kommune angeführt (S. 637/638, Baden-Würtemberg), in der es dem Bürgermeister gemeinsam mit allen Fraktionen gelungen sei, die Schulden (!) in einem überschaubaren Zeitraum abzubauen.

Für das Ruhrgebiet wird die Tendenz zur Konkurrenzdemokratie und damit verbundener verstärkter Haushaltsprobleme unterstellt.

Schauen wir uns jetzt unserer Stadt an. Mir geht es hier nicht um die Tragfähigkeit der Unterscheidung von kommunalen Demokratietypen, sondern erst einmal um den Grad der finanziellen Schieflage. Bei der süddeutschen Kommune gelang neben dem Abbau des strukturellen Defizits auch der Abbau der Schulden zur allseitigen Zufriedenheit mit einer gemeinsamen politischen Anstrengung in einem überschaubaren Zeitraum.

In Witten stellt sich dagegen die finanzielle Herausforderung ganz anders dar.

Hier ist die aktuelle Herausforderung nur (?) ein originär ausgeglichener Haushalt, der im Rahmen des Stärkungspakts in den nächsten 6 Jahren – bis 2021 – erreicht werden muss. Selbst wenn dieses geschafft werden sollte – was ich für äußerst fraglich halte -, kann dann von einem Schuldenabbau noch nicht die Rede sein, wie die Finanzplanung des Kämmerers im Haushalt 2015 deutlich macht***.

Der Schuldenabbau – so er sich denn wie geplant realisieren lässt – erfolgt also in Tippelschritten, und die Extrapolation zeigt, dass auf diese Weise ein Abbau der Schulden vielleicht (!) ca. 2030 oder später erreicht werden kann. Bis zu diesem Zeitpunkt werden also die Schulden, die mit ihnen verbundenen Zinszahlungen und die Gefahr steigender Zinssätze**** wie ein Damoklesschwert über der Stadt schweben.

Also: Wenn in Witten Konkordanzdemokratie, dann für welches Ziel? Für das dauernde Ausbluten der Stadt auf Kosten der Bürgerinnen und Bürger ohne Licht am Ende des Tunnels? Denn genau durch dieses Licht – sprich Schuldenabbau in überschaubarem Zeitraum – waren aus meiner Sicht die Konkordanzdemokratie und die Sparmassnahmen/zusättlichen Belastungen gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern der süddeutschen Kommune zu rechtfertigen und ließen sich konkordanzdemokratisch umsetzen.

Ich z.B. wäre ja gern bereit, die eine oder andere „Grausamkeit“ durch Zustimmung zum Haushalt mit zu tragen und mich konkordanzdemokratisch zu verhalten, wenn das Licht am Ende des Tunnels wie in der als Beispiel angegebenen süddeutschen Kommune absehbar wäre. Ist es aber leider wegen massiver struktureller Fehler der Politik in der Vergangenheit nicht (und eben nicht wegen nicht vorhersehbarer Belastungen, die immer wieder als Ad-hoc-Rechtfertigung für die Finanzmisere vorgetragen werden) – ganz unabhängig von Konkurrenz, Konkordanz oder GroKo.

Insofern bleibt mir nur der stille Protest der Ablehnung des perpektivlosen Ausblutens durch Ablehnung perpektivloser Haushalte und die Hoffnung auf Hilfe von Außen – nicht allein durch mehr Geld (zum Thema „Mehr Geld“ siehe mein Beitrag „Bund und Land sollen zahlen?„/25.6.15), sondern parallel dazu durch die Unterstützung struktureller Reformen. Würde diese Hoffnung erfüllt, zeichnet sich vielleicht doch ein Licht am Ende des Tunnels ab. Mensch soll die Hoffnung ja nie aufgeben.

*Begriffserklärung: „Konkordanzdemokratie“ = BürgermeisterIn und Fraktionen ziehen an einem Strang; „Konkurrenzdemokratie“ = BürgermeisterIn und Fraktionen konkurrieren gegeneinander

**Ergänzung 1.12.15: Als tiefergehende Einführung in die Kommunalpolitik (tiefergehend im Vergleich zu den üblichen Einführungen) kann ich nur empfehlen: Bogumil, Jörg/Holtkamp, Lars, Kommunalpolitik und Kommunalverwaltung/Eine praxisorientierte Einführung, Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2013

***Aus Haushalt 2015/Vorbericht/Gesamtschulden/aktueller Stand und Prognose:
2015: 400.027 TEUR, 2016: 393.596 TEUR, 2017: 385.765 TEUR, 2018: 360.885 TEUR

****Aus Haushalt 2015/Sanierungsplan 2015 ff.:
Zinsen spitz berechnet bis 2021; kalkulierte Zinssätze Liquiditätskredite:
2015 0,50%
2016 0,60%
2017 0,70%
2018 0,80%
2019 0,90%
2020 1,00%
2021 1,10%
Die angesetzten Zinssätze lassen keinen Spielraum für Zins- und/oder Liquiditätssicherung und erfordern eine konsequente kurzfristige Finanzierung sowie ein Andauern der langjährigen Niedrigzinsphase. (Konto 5592 (Guthabenzinsen für Gewerbesteuerrückzahlungen) bis 2018 Anmeldung zum Haushaltsplanentwurf 2015, ab 2019 1% Steigerung).