WBG: Sebstglorifizierung statt Lernbereitschaft

Auf der Website der WBG fand ich unter der Rubrik „Über uns“ folgenden Text (*: dort vollständiger Text):

„Mit Herz und Verstand/Die Gründung und Geschichte der Wittener Bürger Gemeinschaft WBG: … Der 12. September 1999 war der Tag der Wahrheit. Ihr 1. Ziel, die absolute Mehrheit der SPD zu brechen, hatte die WBG erreicht. Die SPD erlebte ein „Waterloo“ und erreichte nur 40,87 % der abgegebenen Stimmen. Mit stolzen 7,21 % der abgegeben Stimmen erreichte die WBG ein unglaublich gutes Ergebnis. Innerhalb von 3 Monaten konnte die WBG die Wähler von ihren politischen Vorstellungen überzeugen. … Seit dieser Wahl vor 20 Jahren ist die WBG seitdem ununterbrochen im Wittener Stadtrat vertreten. Die WBG hat in dieser Zeit mit großem Engagement die Politik in Witten und im EN-Kreis mit den Freien Wählern mitgeprägt und engagiert sich mit Herz und Verstand, damit in Witten intensiver an einer zukunftsgerechten Politik gearbeitet werden kann.“

So kann mensch sich selbst etwas vormachen und glorifizieren. Wie war es denn wirklich? 20 Jahre WBG, eine Erfolgsgeschichte?

Vor der Gründung der WBG hatten sich mehrere Fraktionsmitglieder der damaligen CDU-Fraktion von dieser abgespalten und eine eigenen Fraktion („Bürger für Witten“) gebildet. Diese Fraktion wäre 1999 mit Auslaufen der Wahlperiode an ihr Ende geraten. Deshalb war es für die Mitglieder der abgespaltenen Fraktion notwendig, 1999 eine Wählergemeinschaft zu gründen, um an den Wahlen teilnehmen zu können und eine Chance zu haben, wieder im Rat vertreten zu sein. Also wurde die WBG gegründet, die dann mit 7,21% der Stimmen und 4 Ratsmitgliedern in den Rat einzog.

Tatsache ist, dass 1999 erstmals die absolute Mehrheit der SPD in Witten durch einen massiven Rückgang ihrer Stimmen gebrochen wurde. Woran lag das? Es lag an der Wechselstimmung in Witten, die sich nicht nur auf die Wahlen zum Rat, sondern auch auf die Bürgermeister_innen-Wahl auswirkte: 1999 wurde zum ersten Mal ein/e hauptamtlicher Bürgermeister_in gewählt. Den Hauptbeitrag zum Verlust der absoluten Mehrheit der SPD leistete allerdings nicht die WBG, sondern die CDU, die mit 35,39% prozentual ein im Vergeich zu den vorherigen Wahlen sensationell gutes Wahlergebnis erzielte. Hier die Wahlergebnisse: SPD 40,87% (16.230 Stimmen)/1994: 51,90% (33.888 Stimmen), CDU 35,39% (14.053 Stimmen)/1994: 29.59% (19.323 Stimmen), WBG 7,21% (2.864 Stimmen), FDP 5,25% (2.083 Stimmen) – damit war die FDP erstmals seit 1984 wieder im Rat vertreten. Rechnet mensch die 7,21% der Abspalter-Wählergemeinschaft WBG zu den Prozenten der CDU hinzu, wäre das Ergebnis für die SPD noch desaströser gewesen: 42,59% gegenüber 40,87% der SPD!

Die Intensität der Wechselstimmung wurde noch deutlicher bei den Bürgermeister_innen-Wahlen:

In der Stichwahl bekam der Kandidat der SPD 42,20% (16.811 Stimmen), die Kandidatin der CDU 38,70% (15.409 Stimmen). Ich hatte übrigens an den Wahlen als unabhängiger Bürgermeister-Kandidat teilgenommen und vor der Stichwahl, bei der ich keine Empfehlung abgegeben hatte, 8,40% (3.349 Stimmen) erhalten).**

Wie ging es mit der WBG weiter? Das weitere Abschneiden der WBG bei den Wahlen war nicht sehr glorreich: Bei den Wahlen 2004 konnte die WBG bei leichtem Rückgang der Stimmen 6,25% (2.631 Stimmen) halten – ihr damaliger Bürgermeister_innen-Kandidat bekam 4,42% (1.864 Stimmen). 2009 waren es dann nur noch 3,61% (1.480 Stimmen) – nach diesem schon desaströsen Ergebnis beteiligte sich die WBG an der sog. „Kooperation der Vernunft“, einem Bündnis von SPD, Grünen und WBG. 2014 erfolgte dann der totale Einbruch: 2,2% (838 Stimmen).

Klar: Die WBG sitzt als politische Formation seit 20 Jahren im Rat. Nur sind die Ergebnisse seit der Erstbeteiligung kontinuierlich, zuletzt massiv zurück gegangen. Dass die WBG aktuell mit einer Minifraktion (2 Ratsmitglieder) im Rat vertreten ist, ist nur einem Überhangmandat zu verdanken – sonst wäre sie nur mit einem Mitglied im Rat und nicht in den Ausschüssen präsent. Wenn das das Ergebnis einer „Politik mit Herz und Verstand“ in der Vergangenheit gewesen ist, scheint diese Politik („mit großem Engagement“) nicht auf besondere Gegenliebe bei den Wähler_innen gestoßen zu sein.

Vielleicht lag’s ja an der Qualität der Politik und dem fehlenden Vertrauen zu den Kandidat_innen (Instruktiv die Wahlergebnisse der WBG-Kandidat_innen in den einzelnen Wahlbezirken bei den zurückliegenden Wahlen: Siehe dazu mein Beitrag „Wahlergebnisse Kommunalwahl 2014 vorläufige Einschätzung“/30.9.14 und die dort zu findenden Verweise auf weitere Beiträge zu Kommunalwahlergebnissen in Witten)? Jedenfalls lag es nicht an den Plakaten, wie in einem WAZ-Artikel unterstellt, denn das schlechte Ergebnis 2009 (s.o.) wurde eingefahren, obwohl die Stadt vor der Wahl 2009 mit WBG-Plakaten überschwemmt war. Und jetzt sollen es eine Plakat-Attacke mit unbekannten Gesichtern und ein Spruch („Politik mit Herz und Verstand“) richten? Dazu kann ich nur sagen: Welche Unterschätzung der politischen Intelligenz der Wähler_innen! Leider ist die WBG mit dieser Unterschätzung keine Ausnahme***.

*“Mit Herz und Verstand

Die Gründung und Geschichte der Wittener Bürger Gemeinschaft WBG

Am 01. Juni 1999 fand die Gründungsversammlung der WBG, auf diesen Namen hatte man sich in den Vorgesprächen geeinigt, um 19.00 Uhr im Hotel Specht, Westfalenstr. 104, statt.
Von den 23 Personen, die zur Gründungsversammlung erschienen waren, traten 14 Personen der WBG bei.

Der 12. September 1999 war der Tag der Wahrheit.
Ihr 1. Ziel, die absolute Mehrheit der SPD zu brechen, hatte die WBG erreicht. Die SPD erlebte ein „Waterloo“ und erreichte nur 40,87 % der abgegebenen Stimmen. Mit stolzen 7,21 % der abgegeben Stimmen erreichte die WBG ein unglaublich gutes Ergebnis. Innerhalb von 3 Monaten konnte die WBG die Wähler von ihren politischen Vorstellungen überzeugen. Die Kandidaten Sascha Schilling, Siegfried Nimsch, Klaus Gorbahn und Thomas Karpowicz zogen in den Rat ein und bildeten die Fraktion WBG. Am 21.09.1999 wurde Siegfried Nimsch zum Fraktionsvorsitzenden gewählt.

Seit dieser Wahl vor 20 Jahren ist die WBG seitdem ununterbrochen im Wittener Stadtrat vertreten.

Die WBG hat in dieser Zeit mit großem Engagement die Politik in Witten und im EN-Kreis
mit den Freien Wählern mitgeprägt und engagiert sich mit Herz und Verstand, damit in Witten intensiver an einer zukunftsgerechten Politik gearbeitet werden kann.“

**Das Ergebnis der Grünen 1999 ist auch interessant: 7,30% (2.899 Stimmen) bei den Wahlen zum Rat, 5,60% bei den Bürgermeister_innen-Wahlen (2.212 Stimmen): 1994 waren es noch 12,77% (8341 Stimmen) bei den Wahlen zum Rat!

*** Für mich zeugt eine Wahlwerbung, die sich auf die Präsentation von (fotoshop-verjüngten) Gesichtern, inhaltsleeren Sprüchen, facebook-Nettigkeiten und ein Wahlprogramm stützt, das sich durch Inkompetenz, Fehler und wirre Ideen auszeichnet, schlicht von Wähler_innen-Unterschätzung (zum Wahlprogramm der WBG siehe mein Beitrag „WBG: Finanzpolitik ‚mit Verstand‘?“/3.8.20, zum Wahlprogramm des bürgerforums meine Beiträge „bürgerforum: Da ist wirklich Hopfen und Malz verloren!“/22.6.20 und weitere unter „Hopfen und Malz verloren?/Programmentwurf …“/Das vollständige Programm des bürgerforums findet sich mittlerweile auf der neuen Website dieser politischen Formation).

Der Fairness halber weise ich darauf hin, dass sich die von mir kritisierte Form der Wahlwerbung nicht auf die angesprochenen politischen Formationen beschränkt. Ich würde daher grundsätzlich jeder/jedem dringend empfehlen, die jeweiligen Wahlprogramme – soweit vorhanden und zugänglich – gründlich zu lesen. Die Programme machen deutlich, mit wes Geistes Kind mensch es zu tun hat.