WBG: Finanzpolitik „mit Verstand“?

Nicht nur das neue bürgerforum ist offenbar auf Programmschrott abonniert. Die Finanzpolitik wird aus meiner Sicht eine entscheidende Herausforderung für die Qualität der Arbeit einer jeden künftigen politischen Formation im Rat und einer jeden künftige Bürgermeisterin/eines jeden künftigen Bürgermeisters sein. Hier der Programmteil zur Sicherung der kommunalen Finanzen aus dem WBG-Programm zur „Sicherung der kommunalen Finanzen in Witten“, zum „katastrophalen Schuldenstand“, zur „Senkung der kommunalen Steuerbelastung“ und zur Gewinnung von „Handlungsspielräumen“ (s.u.)* und meine Bewertung (mein Kommentar in Rotfärbung).

Die Erfindung eines nicht existenten Kienbaum-Gutachtens, Steuersenkungsforderungen, die angesichts der Wittener Haushaltskrise bei versuchter Umsetzung sofort das Einschreiten der Bezirksregierung (Kommunalaufsicht) provozieren würden (nicht genehmigter Haushalt, Sparkommissar) und ein schludriger Umgang mit Beträgen zeugt von Inkompetenz und schlechtem Populismus: Finanzpolitik „mit Verstand“?

Sicherung der kommunalen Finanzen in Witten

Die Personalkosten der Wittener Verwaltung sind im Vergleich etwa gleichgroßer Nachbarkommunen viel zu hoch.

Eine Gesundung des Haushaltes kann daher nur erfolgreich sein, wenn diese Kosten gesenkt werden. (Das ist aus meiner Sicht richtig, aber TvöD**!)

Die Forderung der WBG basiert auf dem Ergebnis und den Feststellungen eines unabhängigen Kienbaum-Gutachtens (Ein solches Kienbaum-Gutachten gibt nach meinem Wissensstand nicht. Gemeint ist wahrscheinlich die GPA (Gemeindeprüfungsanstalt)-Untersuchung 2011 – 2015/Vorlage des Ergebnisses 2017. Ein Kienbaum-Gutachten gab es nur für das Kulturforum/Saalbau).

Das Kienbaum-Gutachten wurde von der Stadt Witten im Jahre 2015 in Auftrag gegeben (Stimmt nicht/s.o.) und sieht im Ergebnis den Wegfall von ca. 30 % aller Stellen in der Verwaltung vor (Wo kommen die 30 % her? Mir nicht bekannt). Ob das für jedes Stadtamt realisierbar ist, ist sicherlich zu bezweifeln (Das ist allerdings zu bezweifeln!).

Deswegen fordern wir, dass die vorhandenen Ressourcen geprüft und ggf. unter den einzelnen Ämtern umverteilt werden (Und was bleibt dann von der Senkung der Personalkosten und der Zahl der Stellen?). Ist erkennbar, dass Planstellen nicht zwingend mehr besetzt werden müssen, sind diese mit einem „kw“-Vermerk (kw=künftig wegfallend) zu kennzeichnen.

Ob die bisher erbrachten kommunalen Dienstleistungen in Witten bleiben müssen oder im Zeitalter der Digitalisierung ausgelagert werden können, bedarf weiterer Prüfungen.

Der wichtigste Faktor, der einen Haushaltsausgleich (immer wieder!) in Frage stellt, ist der prognostizierte Anstieg der Personalkosten (Neben diesem Faktor dürften mittlerweile die Corona-Ausfälle der wichtigste Faktor sein: Zu den Corona-Einbrüchen siehe mein Beitrag „Wittener Haushaltskrise: Rettungsschirme ohne Ende?“/27.5.20). SPD, CDU, FDP und Grüne gehen von der fatalen Fehleinschätzung einer nur 1 prozentigen Gehaltssteigerung pro Jahr aus. Die Personalkosten steigen von 67 Millionen Euro in 2018 (im aktuellen Haushaltsplan 19/20/Vorbericht – HSP 19/20/Vorb – in 2018 richtig: 74.260 Mio., mit Versorgung: 81.287 Mio.***) auf 76 Millionen Euro in 2023 (im HSP 19/20/Vorb Prognose 2023: 80.017 Mio., mit Versorgung in 2020: 87.680 Mio.; in 2023: 93.985 Mio.); zusammen mit den Versorgungsaufwendungen belasten dann in 2023 rund 100 Millionen Euro (richtig: Prognose 2023 rd. 94 Mio.) den Wittener Haushalt.

Die bisherigen Personalkosten (76,3 Mio. Euro – stimmt aufgerundet für 2020!) machen ein Viertel der städtischen Ausgaben aus.

2019 stehen Einnahmen von 297,6 Mio. Euro (HSP 19/20/Vorb: 296.903.027 Mio.!), Ausgaben von 296,6 Mio. Euro (HSP 19/20/Vorb: 296.729.728 Mio.!) gegenüber.

Für 2020 sind Einnahmen von 303,1 Mio. Euro (HSP 19/20/Vorb: 303.331.294 Mio.!) und Aufwendungen von 298,4 Mio. Euro (HSP 19/20/Vorb: 298.536.754 Mio.!) angesetzt. Der größte Einnahmeposten (2019, aktuell 2020) sind die Steuern (156 Mio. Euro, HSP 19/20/Vorb: für 2020 160.626 Mio.), darunter Gewerbesteuer (57,5 Mio. Euro, HSP 19/20/Vorb: für 2020 ca. 58 Mio.), der Einkommenssteueranteil (49 Mio. Euro, HSP 19/20/Vorb: für 2020 ca. 52 Mio.) und die Grundsteuer B (32,5 Mio. Euro, HSP 19/20/Vorb: für 2020 ca. 33 Mio.). Die Schlüsselzuweisungen vom Land sind mit 52,3 Mio. Euro angesetzt.

Bei den Aufwendungen schlagen die Transfers mit 150 Mio. Euro am stärksten zu Buche. Sie machen die Hälfte der Ausgaben aus. Darunter fällt die Kreisumlage (74 Mio. Euro), die der Kreis zu 70 % für Bedarfsgemeinschaften, Grundsicherung und Unterkunftskosten ausgibt.

Katastrophaler Schuldenstand

Die Stadt Witten nimmt am „Stärkungspakt Stadtfinanzen“ teil. Sie erhielt seit dem Jahr 2011 jährlich eine Konsolidierungshilfe des Landes Nordrhein-Westfalen, die bis zum Jahr 2016 rd. (jährlich und nicht rd.!) 7,2 Mio. Euro betrug und von 2017 bis 2020 degressiv abgebaut wird. In 2017 gab es 5,588 Mio. Euro, 2018 4,083 Mio. Euro, in 2019 dann 2,65 Mio. Euro und in 2020 1,289 Mio. Euro als letzte Stärkungspakt-Tranche. Ab 2021 (nicht ab, sondern bis 2021 als Zieljahr!) müssen die Haushalte ohne Landeshilfen (Zuschüsse!) ausgeglichen werden.

Trotz dieser Zuwendungen des Landes bleibt die Verschuldung unserer Stadt katastrophal: Unsere Kassenkredite betragen mehr als 324 Mio. Euro (tatsächlich in 2020: 317 Mio.!: Siehe HSP 19/20/Vorb), also rund 30 Mio. Euro mehr als der jährliche Gesamtetat. Darüber hinaus nehmen wir etwa 120 Mio. Euro aus langfristigen Krediten in Anspruch (tatsächlich in 2020: 57.243 Mio.!: Siehe HSP 19/20/Vorb).

Die Gesamtverschuldung unserer Stadt beträgt also rd. 440 Mio. Euro (tatsächlich rd. 374 Mio.!: Siehe HSP 19/20/Vorb).

Für Zinsen wenden wir derzeit ca. 6 Mio. Euro jährlich auf. Das derzeitige Zinsniveau liegt unter 1 Prozent. Bei einem Anstieg der Zinsen um 1 % verdoppelt sich dieser Aufwand (also 12 Mio. = 6 Mio.+!). Seit Einführung der „doppelten Buchführung“ für die Kommunen in NRW im Jahre 2009 liegen die Bilanzwerte Wittens vor. Trotz der Berücksichtigung aller städtischen Vermögenswerte (Gebäude, Infrastruktur, Beteiligungen etc.) weist die Witten-Bilanz bei einer Bilanzsumme in Höhe von rd. 820 Mio. Euro eine Eigenkapitallücke von 150 Mio. Euro aus.

Wäre Witten ein Unternehmen, müsste die Bürgermeisterin sofort Insolvenz anmelden (Witten ist sei 2010 überschuldet – kein Eigenkapital mehr – und musste deshalb pflichtig mit wenigen anderen Städten am Stärkungspakt teilnehmen. Siehe dazu meine Beiträge „Was bedeutet der Stärkungspakt für Witten“/12.3.13 und zahlreiche folgende Beiträge zur Haushaltskrise, insbesondere „Wittener Haushalt – Licht am Ende des Tunnels, aber wie??“/6.1.16.).

Senkung der kommunalen Steuerbelastung

Die kommunalen Realsteuern in Witten sollen durch folgende Maßnahmen deutlich gesenkt werden:

• Die Gewerbesteuer wird, soweit es die rechtlichen Rahmenbedingungen des Stärkungspaktes zulassen, auf einen Hebesatz von 400 Punkten abgesenkt (jetzt: 520; aber: Zu den rechtlichen Rahmenbedingungen des Stärkungspakts gehört der Haushaltsausgleich ohne Zuschuss bis 2021, der Stärkungspakt läuft 2021 aus. Auch danach dürfte der Haushaltsausgleich – mit coronabedingter Ausnahme – grundsätzliches Ziel bleiben. Deshalb ist es nicht wahrscheinlich, dass die Aufsichtsbehörde Steuersenkungen in Witten zulassen wird).

• SPD und CDU haben die Steuerschraube für die Grundsteuer B auf eine traurige Rekordhöhe von 910 Hebesatzpunkten geschraubt (Das waren erstens nicht nur SPD und CDU, und zweitens ist die Erhöhung durch den im Stärkungspakt vorgegebenen Zwang zum Haushaltsausgleich – Haushaltsgenehmigung! – motiviert. Merke: Witten ist in der laufenden Haushaltskrise nicht mehr steuersouverän – s.o. Aufsichtsbehörde!). Damit nimmt Witten deutschlandweit einen Spitzenplatz ein. Die Belastung der privaten Haushalte, von Haus-/Wohneigentumsbesitzern sowie auch von Mietern ist unerträglich (Ad „unerträglich“: Es war der Vergangenheit aber erstaunlich, wie wenig Protest es gab). Die WBG beabsichtigt, die Grundsteuer B auf einen Hebesatz von 460 Punkten zu senken (Dann müsste auch eine Andeutung erfolgen, wie der Haushaltsausgleich mit dieser Senkung erreicht werden kann. Sonst ist die Forderung nur schlecht populistisch und unglaubhaft).

Handlungsspielräume gewinnen

Zur Gewinnung finanzieller Handlungsspielräume, aber auch aus ordnungspolitischen Überlegungen, darf der Verkauf städtischen Vermögens kein Tabu sein (Der Verkauf ist schon lange kein Tabu mehr, aber von dem möglicherweise zu verkaufenden Vermögen ist mittlerweile kaum noch etwas übrig geblieben).

Ebenso ist die Anwendung neuer Finanzierungswege, wie die Beteiligung privater Investoren als auch die Inanspruchnahme von Leasing-Verfahren (z.B.: PPP – Private Public Partnership) sorgfältig zu prüfen (Siehe aber zur Unwirtschaftlichkeit von PPP als Beispiel mein Beitrag „Rathaussanierung – eine vorprogrammierte Geldverschwendung?„/15.4.13).

*Quelle: Website der WBG (Wittener Bürger Gemeinschaft), Wahlprogramm/Langfassung

**Nach TVöD und TV-L im Tarifgebiet West sowie nach TV-H können Arbeitsverhältnisse von Beschäftigten, die das 40. Lebensjahr vollendet haben, nach einer Beschäftigungszeit von mehr als 15 Jahren durch den Arbeitgeber nur aus einem wichtigen Grund gekündigt werden. Unter Berücksichtigung der Altersstruktur der Wittener Verwaltung dürfte der Kündigungsschutz für den größten Teil der Beschäftigten gelten (Beamte sowieso).

***HSP 19/20/Vorbericht: Haupt_und_Finanzausschuss_20181025_05_Vorbericht

****Angaben aus HSP 19/20/Vorbericht