Grüne Kanzlerkandidatin Baerbock: Ein Neuanfang für das Land?*

Ein „Neuanfang“ für das Land mit den Grünen als Kanzler- und Mehrheitspartei und größtem Koalitionspartner an der Regierung ? Das Pathos einmal radikal abgespeckt und die Lage nüchtern betrachtet, stellen sich die möglichen Aussichten nach einer Wahl am 26.9., bei der die Grünen die Mehrheit erringen, aus meiner Sicht folgendermaßen dar.

Die Grünen als Verwalter_innen der grünen Farbe haben sich für mich mittlerweile in die Position des kleinsten Übels – angesichts des restlichen Parteiangebots – hinein manövriert. Ob allerdings eine grüne Partei, die in einer Koalition die Mehrheit** bildet und eine Kanzlerin stellt, die drängenden Probleme über kosmetische Operationen hinaus angehen wird, wage ich zu bezweifeln (Siehe dazu den klugen und angesichts der aktuellen Entwicklungen wahrscheinlich hellsichtigen Artikel von Ulrich Schulte: Die Ökopartei und die Macht/Wenn die Grünen regieren: https://taz.de/Die-Oekopartei-und-die-Macht/!5743776/). Aber immerhin wären einige kosmetische Operationen besser als keine, wenn diese im Zuge der Notwendigkeit der Machtsicherung und des Machterhalts bei den Grünen nicht zu einem Vergessen der Unzulänglichkeit der Kosmetik führen.

Sorge bereitet mir allerdings die bei der Kanzlerkandidatin Baerbock zu verzeichnende Moralisierung der Außenpolitik (Sanktionen gegen China, Sanktionen gegen Russland etc.!?). Auf diesem Wege wird Politik schnell bellikos***. Es ist schließlich historisch noch nicht allzu lange her, das mit Zustimmung der Grünen in Afghanistan unsere Sicherheit und Freiheit am Hindukusch militärisch verteidigt werden sollte****. Ob das gelungen ist, möge jede/r angesichts der gegenwärtigen Lage in Afghanistan selbst beurteilen. Ich bin übrigens 1999 wegen der Zustimmung der Grünen zur deutschen Beteiligung am Krieg im früheren Jugoslawien aus den Grünen ausgetreten (davor Gründungsmitglied der Grünen seit 1980, siehe mein Beitrag „Warum dieser Blog?“/20.11.13).

*Statement von Annalena Baerbock am 19.4.21: „Diese Land braucht einen Neuanfang“?

**In einer Koalition haben bekanntlich die übrigen Koalitionspartner ein nicht unwichtiges Wörtchen mitzureden. Sowohl mit der CDU wie auch alternativ mit der SPD und der FDP dürften großartige Neuanfänge extrem schwierig sein.

***Siehe zur Gefahr der Bereitschaft zu militärischen Interventionen bei den Grünen: https://taz.de/Wahlprogramm-der-Gruenen/!5765374/: „Außen- und Sicherheitspolitik“.

****bellikos = streitbar, kriegerisch (Goethe, Gespräche mit Riemer, Jan 1808: “So ist es auch mit andern Stimmungen des Geistes, mit der religiösen, amourösen, bellicosen und andern“). Siehe zur bellikosen Politik: https://www.tagesspiegel.de/politik/afghanistan-krieg-das-unaussprechliche-wort/4692820.html.