„Historiker“- Kappes jetzt auch stadtoffiziell?

Seit längere Zeit formiert sich im Hohenzollernviertel (vor allem der Bereich Nordstraße, Uthmannstraße, Mozartstraße, Beethovenstraße bis zum Platz der Gedächtniskirche) bürgerschaftliches Engagement zur Aufwertung und Attaktivierung des Viertels, unter anderem zur Attraktivierung des Karl-Marx-Platzes. So weit, so gut. Im neuen Stadtentwicklungskonzept wird der Bereich als Quartier begrüßenswerterweise berücksichtigt.

Der Name „Hohenzollerviertel“ nimmt Bezug auf den historischen Ursprung eines erheblichen Teils der Bausubstanz (siehe dazu Heinrich Schoppmeyer/Witten/Geschichte von Dorf und Stadt/Witten 2012/S. 331). Mit ihm ist ein Bezug auf eine Phase der Wittener städtischen Realgeschichte mit ihrer Kompexität (dazu gehören auch die je nach Standpunkt dunklen und/oder hellen Aspekte) und keine nachträgliche positive Wertung verbunden.

Seit einiger Zeit polemisiert der selbsternannte Stadthistoriker Ralph Klein gegen den Namen Hohenzollernviertel (zu seinen Argumenten siehe Anmerkung*). Nun war mir auch vor Ralph Klein schon klar, dass die Hohenzollern im 19. Jahrhundert – die Entstehungszeit des Viertels – keine Sozialdemokraten und auch keine begeisterten Abhänger des Liberalismus waren – im Gegenteil. Die damaligen Bauherren im Hohenzollernviertel waren es wahrscheinlich auch nicht (siehe auch dazu Heinrich Schoppmeyer über die politischen Veränderungen S. 358/59**).

Ich halte nichts davon, über Namensmanipulationen – wenn es denn schon um die positive oder negative Wertung der Hohenzollern gehen soll – realgeschichtliche Probleme zu vertuschen und über eine parteiische Grobwertung über Stock und Stein zu verfälschen (siehe dazu meine Beiträge „Hohenzollernviertel: Statt Streit um Namen besser Infomation“/20.3.17 und „Hohenzollern?“/21.6.17). Genau dies Vertuschen und Verfälschen ist aber Ralph Klein zum Vorwurf zu machen.

Um so erstaunter war ich, die Positionen von Ralph Klein auf der Web-Site der Stadt zitiert zu finden („bedeutsamer Hinweis“)* und festzustellen, dass der Name „Hohenzollernviertel“ aus den stadtoffiziellen Quartiersbezeichnungen eliminiert worden ist. Welche geschichtsfremdem Planer mögen sich zu dieser Folgsamkeit bemüßigt gefühlt haben? Richtig ist das nicht.

Wie absurd die ganze Angelegenheit ist, zeigt Folgendes:

Das Nachbarviertel des Hohenzollernviertels firmiert stadtoffiziell unter dem Namen „Augustaviertel“. Woher der überkommene Name? Augusta war den Name der Ehefrau von Kaiser Wilhelm I (Kaiserin Augusta***), also eines Hohenzollern.

Wo bleibt in diesem Fall die Polemik von Ralph Klein gegen die Quartiersbenennung, und wo bleibt die historische (nachträgliche) politische Correctness der Planer? Besonders schief wird die Angelegenheit, wenn mensch berücksichtigt, dass Ralph Klein mit dem „Trotz Allem“ im von den Planern definierten „Augustaviertel“ situiert ist. Ob das erträglich ist? Oder kommt als nächste Initiative von Ralph Klein, die Augustastraße wegen Nähe zu den Hohenzollern umzubenennen, und macht das die Stadt dann mit?

Was mich betrifft, bin ich froh, dass der Karl-Marx-Platz weiterhin „Karl-Marx-Platz“ heißt und die vormalige von der Wittener CDU geplante Umbebennung abgewehrt worden ist (siehe dazu mein Beitrag „Hohenzollernviertel/Karl-Marx-Platz: Ein heller Moment von Klaus Wiegand“/21.6.17).

*Zitat auf der Web-Site der Stadt Witten/Unsere Mitte: „Speziell zum „Hohenzollernviertel“ gibt vor der zweiten Bürgerwerkstatt der Wittener Historiker Ralph Klein einen bedeutsamen Hinweis: „Mir ist nicht verständlich, wie die Stadt Witten heute noch diesen Namen in offiziellen Verlautbarungen nutzen kann“, schreibt Klein und führt aus, wofür der Name „Hohenzollern“ steht, den der „Verschönerungsverein Hohenzollernviertel e.V.“ im Namen führt:

„Er steht für eine Monarchie, die mit rabiaten und gewaltsamen Mitteln die Demokratischen Regungen im Deutschland des 19. Jahrhunderts bekämpfte: Die 1848er Revolution ebenso wie die Sozialdemokratie. Er steht für ein Königshaus, dass den ersten von Deutschen begangenen Völkermord in Gang setzte: den von 1904-1907 an Herero und Nama in der damals deutschen Kolonie Deutsch-Südwest (Namibia). Zurzeit sind deswegen Klagen gegen die Bundesrepublik Deutschland als Rechtsnachfolger des damaligen Deutschland anhängig. […]“ Klein erinnert auch daran, dass „der nach der Befreiung vom Nationalsozialismus amtierende Stadtrat die Straßennamen, die  mit dem Hohenzollern-Regime verbunden waren, aus Erkenntnis über deren Politik entfernte: „Aus der Roon- wurde die Uthmannstraße, aus der Bismarck- die Beethovenstraße, aus der Moltke- die Mozartstraße. Der Königsplatz wurde zum Karl-Marx-, der Wilhelmsplatz zum Ossietzkyplatz und die Wilhelmstraße zur Galenstraße. Die Nazis hatten zwar die Namen sozialdemokratischer Politiker aus dem Stadtbild getilgt, aber die der Hohenzollern und ihrer Generäle und Politiker ließen sie unangetastet.“ Mit der Bitte, künftig nicht mehr vom Hohenzollernviertel zu sprechen, verbindet Klein den Wunsch, es „Breddeviertel“ zu nennen: „[…] nach der alten Flurbezeichnung, auf der das Viertel nach 1867 errichtet wurde.“  Und zur Vollständigkeit gehört die Ergänzung, dass der historisch korrekte Name übrigens „nördliches Stadtviertel“ wäre…“ (Zitatende)

Meine Anmerkungen: Geschichte ist manchmal komplexer, als Ralph Klein meint: Ergänzend zu dem Par-Force-Ritt Ralph Kleins durch die Geschichte des 19. Jahrhunderts (wie gesagt: Entstehungszeit des Hohenzollerviertels) folgende Anmerkungen:

– Es ist richtig, dass die preussischen Hohenzollern die demokratischen Bewegungen von 1848 mit niedergeschlagen haben (Übrigens ist in Preussen der Niedergang – nicht der Aufstand – der demokratischen Bewegung weniger gewaltsam verlaufen: Zitat aus Sebastian Haffner/Preussen ohne Legende/Hamburg 1998/S. 319: „Berlin war den ganzen Sommer in der Hand der Bürgerwehr, ein radikales preussisches Parlament arbetete an einer radikalen preussischen Verfassung, in Frankfurt tagte eine deutsche Nationalversammlung, ohne von den Fürsten berufen zu sein, und der König musste Demütigungen einstecken. Aber zugleich erschöpfte sich im Laufe des Sommers 1848 die Revolution. Sie war im Grunde mächtiger gewesen, solange sie drohte, als nun, da sie stattgefunden hatte. Das Schicksal aller Revolutionen entscheidet sich in letzte Instanz durch den Besitz der bewaffneten Macht. Die Armee aber, obwohl in den Märztagen auf königlichen Befehl aus Berlin zurückgezogen, war immer noch fest in der Hand des Königs; und im Herbst rückte sie auf königlichen Befehl in Berlin wieder ein. Sie fand keinen Widerstand mehr. Das Parlament wurde vertagt und nach Brandenburg an der Havel verlegt, dann aufgelöst. Die Revolution war in Preussen vorüber. Der König hatte das Heft wieder in der Hand.“). Aber das ist europaweit geschehen und war keine hohenzollernspezifische Reaktion auf die konfusen demokratischen Bewegungen von 1848.

– Erst die unter den Hohenzollern herbei geführte kleindeutsche Lösung der deutschen Reichseinigung hat einen Reichstag und ein allgemeines Wahlrecht (Männer) im Reich (nicht in Preussen! Dort Dreiklassenwahlrecht) ermöglicht. Mit dem im Vergleich zu Preussen noch viel konservativeren Östereich wäre das wohl kaum möglich gewesen.

– Die Hohenzollern haben wohl die Sozialdemokratie unterdrückt (1878 Sozialistengestz bis 1890), mussten sie aber anschließend mit vermehrter Stärke der Sozialdemokratie im Reichstag (erhebliche Erfolge bei den Wahlen) wieder zulassen. Die Kriegskredite 1914 haben Sozialdemkraten bewilligt, ohne unterdrückt zu sein. Zur Entwicklung der deutschen Sozialdemokratie 1871 bis 1914 und zu deren innerer Verfasstheit bei Bewilligung der Kriegskredite empfehle ich Interessierten das Standardwerk: Dieter Groh, Negative Integration und revolutionärer Attentismus/Die deutsche Sozialdemokratie am Vorabend des Ersten Weltkriegs, Frankfurt/M – Berlin – Wien 1974, zur Entwicklung der Sozialdemokratie von 1862 bis 1878: Cora Stephan, „Genossen, wir dürfen uns nicht von der Geduld hinreißen lassen!“/Zur Theoriebildung in der deutschen Sozialdemokratie 1862 – 1878, Frankfurt am Main 1981.

**Zum Hohenzollerviertel hat Ralph Klein eine Broschüre heraus gegeben, die in einem Artikel der WAZ vom 19.6.17 erwähnt wird: Ralph Klein, 150 Jahre Stadtbauplan in Witten, Bremen/Wuppertal 1917.

→WAZ-Artikel: Schön zentral wohnen am Karl-Marx-Platz 

Zu dieser Broschüre kommentiert Heinrich Schoppmeyer (Mail vom 3.7.17):

„Lieber Herr Riepe,

vorab herzlichen Dank, daß Sie mich auf die Sache aufmerksam gemacht haben. Ich schenke Witten in letzter Zeit etwas weniger Aufmerksamkeit, weil ich noch eine andere große Arbeit abschließen möchte. Je älter man wird, desto langsamer geht es voran.

Nun zu Herrn Klein: Die ganze Arbeit hätte er sich gar nicht zu machen brauchen. Daß die Altvorderen nicht in jeder Sitzung des Rates bzw. der Baudeputation die schwarz-weiße Preußenfahne geschwenkt haben, war wohl ohnehin klar. Klar ist aber auch, daß Denkmal und Gedächtniskirche nicht zufällig dorthin gesetzt wurden, wo sie stehen bzw. standen. Auch die Straßenbenennung nach Bismarck, Roon und Moltke bzw. die Platzbenennung nach dem König (nämlich Wilhelm I.) war wohl nicht der reine Zufall. Der Ossietzki-Platz hieß übrigens ebenfalls Wilhelms-Platz und die Galenstraße hieß Wilhelm-Straße. Der Tiefe Weg wurde zur Augusta-Straße. Und wenn Herr Klein sein Plädoyer für die Bezeichnung „Nordstadt“ ausgerechnet unter dem Denkmal hält, dementiert er sich mit jedem Wort selbst. Das „Breddeviertel“ paßt nicht, die „Bredde“ als großes Ackerstück des ehemaligen Schulten-Hofes ist mit der Bezeichnung Breddestraße auch abgegolten. Und dann: Es sei um Wohnraumbeschaffung gegangen, auch für Arbeiter. Wenn man durch die heutige Beethoven-, Uthmann- und Mozart-Straße geht (bzw. die Garten-, Synagogen-, Bredde- und Nordstraße geht) und die Bauten mustert, staunt man über Kleins Analyse. Er will offenbar nicht glauben, was man da heute noch sieht, z.T. auch in der Nordstraße lesen kann. Dann der Witz mit der Gedächtniskirche: Die Hohenzollern stünden doch erst an dritter Stelle, seien daher ganz ganz nachrangig. Da muß ich doch einmal die Widmung zitieren: Die Kirche war errichtet zum „Gedächtnis der Reformation“, des „evangelischen Bekenntnisses der Hohenzollern“, der „wunderbar großen Geschichte Preußens und Deutschlands und der ernsten und erhebenden Tage unter der Regierung Wilhelms I. und Friedrichs III.“ Übrigens: Die Nationalliberale Partei hatte ihr Parteibüro zuletzt in der Bredde-Straße, und die Aufmärsche des 1858 gegründeten Garde,- Krieger- und Landwehr-Vereins begann in der Regel am Königsplatz.

Also: Vergeblich Kleins Aufwand. Es ging ihm auch nicht um eine historische Korrektur. Vielmehr wollte er sich –wie viel zu häufig– als politischer Tugendwächter betätigen. Das verrät einer seiner Sätze sinngemäß: Die Hohenzollern seien imperialistisch-nationalistische Scharfmacher gewesen. Und ganz leise unterstellt er mir, ich plädierte heimlich für eine Hohenzollern-Renaissance. Da kann ich nur noch lachen. Fazit: Das Ganze ist eine verwundernde Vorstellung: Was wir (= Klein und der Club „Trotz allem“) in der Geschichte nicht wollen, das radieren wir einfach aus. Wie wäre es, wenn er einmal über Bakunin und Fürst Kropotkin nachdächte?

Die Broschüre schicke ich Ihnen mit der nächsten Post wieder zu.

Mit den besten Grüßen

Ihr

Heinrich Schoppmeyer“

***Ergänzung 10.2.18: Übrigens eine interessante Persönlichkeit, die sich auch quer gestellt hat, siehe dazu der einschlägige Wikipedia-Beitrag „Augusta von Sachsen-Weimar-Eisenach“. Merke: Auch bei den Hohenzollern war nicht immer alles einheitlich.