Defensivaktionen helfen wenig gegen selbst verursachtes Trading Down*

Rat und Verwaltung versuchen seit einiger Zeit verzweifelt, durch Bebauungspläne und Veränderungssperren das weitere Vordringen von Wettbüros und Spielhallen in zentrale Innenstadt- und Stadtteilbereiche zu verhindern. Diese Versuche sind zu begrüßen und werden vom bürgerforum unterstützt. Das Problem aus meiner Sicht: Die Versuche sind rein defensiv.

→ Link: Verwaltungsvorlagen 0712 und 0713:

0712_V_15_Vorlage[1]

0713_V_15_Vorlage[1]

Die Verwaltung begründet ihre Initiativen mit der Gefahr des Trading Down: Das Vordringen von Wettbüros und Spielhallen führe zu dieser Negativentwicklung. Aber leider wird umgekehrt ein Schuh daraus. Das Trading Down wird nicht erst durch Wettbüros und Spielhallen eingeleitet, sondern deren Einsickern in ehemals attraktive Einzelhandelslagen ist eine Folge des auch durch städtische Fehlplanungen schon eingetretenen Trading Down.

Bestes Beispiel: Die Untere Bahnhofstr., die verwaltungsoffiziell vor Zeiten verschämt in „Westliche Bahnhofstr.“ umgetauft worden ist (Namensmanipulationen lösen keine Probleme!). Schauen wir uns die traurige Vorgeschichte des aktuellen Zustands an:

Ursprünglich sah das Konzept der Fußgängerzone Bahnhofstr. sinnvoller Weise zwei Magnetbereiche vor:

Oben den Bereich der jetzigen „Galeria Kaufhof“ (früher „Horten“) samt Rathausplatz und Kornmarkt und unten den Bereich um das jetzige „Novum“.

Dieses Konzept ist zum Schaden der Bahnhofstr. nicht konsequent umgesetzt worden. Was ist passiert?

Die Entwicklung des oberen Magnetbereichs ist planerisch verpennt und verbaselt worden.

Der Celestian-Bau, der als kommerzielle Ergänzung der Galeria gedacht war (und von ihr gefordert wurde) hat sich als konstruktive Fehlplanung erwiesen (Folge: Leerstände), der Rathausplatz präsentiert sich als unattraktive graue Fläche (zur Geschichte des Rathausplatzes und Vorgeschichte des Celestian-Baus siehe auch „Wie war es wirklich? Einblicke in einige Ereignisse der Geschichte der Wittener Kommunalpolitik“/8.5.13), und die Verlagerung des ZOB, die schon vor 2005 geplant war und eine frühzeitige ergänzende Entwicklung des Kornmarkt ermöglicht hätte, ist von Teilen der Wittener Politik im wahrsten Sinne des Wortes verpennt worden (* in ca. 2002 verpassten es zwei Vertreter der Wittener Politik im Bezirksplanungsrat, der damalige Fraktionsvorsitzende der SPD Klaus Hebell und der Grüne Udo Werner, sich für eine Priorisierung der Förderung der Maßnahme auf Bezirksebene einzusetzen. Die Förderung wurde mit ihrer Zustimmung zugunsten der Priorisierung der Projekte anderer Städte „geschoben“).

Folge: Konstatiert werden muss eine verkrüppelte Entwicklung über mittlerweile fast 20 Jahre – die ersten Planungen für eine Erneuerung der Innenstadt begannen 1993 – mit wachsender Unattraktivität des oberen Magnetbereichs. Die Gefahr des Trading Down dieses zentralern City-Bereichs ist akut.

Eingetreten ist das Trading Down schon seit längerer Zeit im Bereich der Unteren Bahnhofstr.. Ist diese Entwicklung schicksalhaft vom Himmel gefallen?

Auch in diesem Bereich beileibe nicht.  Provoziert worden ist der Absturz wesentlich durch eine gravierende planerische Fehlentscheidung. Denn in dem jetzigen langsam brach fallenden „Novum“ befand sich ursprünglich ein gut besuchter Supermarkt, der nicht unerhebliche Kundenströme an die untere Bahnhofstr. band und zumindest eine rudimentäre Magnetfunktion ausfüllte. Durch die Ansiedlung von Kaufland an der Breite Str. war es damit vorbei.

Nicht die Stadtgalerie, sondern Kaufland war der „goldene Schuss“ für die untere Bahnhofstr. Die Stadtgalerie hat das Desaster nur verstärkt.

Und jetzt? Wie weiter?

Nach dem eingetretenen Trading Down bedarf es schon eines erheblichen Maßes an Mühe, Phantasie und Kreativität, um den Bereich zu stabilisieren, wenn die Stadt nicht nur abwehren und Leerstände verwalten will.

Ein erster Schritt müsste darin bestehen, eine attraktive Nutzung für die „Novum“-Immobilie zu finden, damit zumindest ansatzweise die Magnet-Funktion wieder ausgefüllt wird.

Für den übrigen Bereich bis zum Berliner Platz ist sicher eine intensive Betreuung durch Stadtplanung, Stadtmarketing und Wirtschaftsförderung notwendig, um zu retten, was zu retten ist, und möglicherweise eine Wende zu erreichen.

Ein Schritt in die richtige Richtung: Am 21.11.12 stellte die SPD einen Antrag „Stärkung Untere Bahnhofstr.“ mit u. a. dem Ziel, eine konkrete und wirkungsvolle Handlungsempfehlung für diesen Bereich zu entwickeln (übrigens hat die SPD früher leider die Ansiedlung von Kaufland begrüßt).

→ Link: SPD-Antrag 21.11.12: AN 25 12 Stärkung Untere Bahnhofstraße

Dieser Antrag ist am 17.1.13 mit der Stimme des bürgerforums beschlossen worden.

→ Link: Niederschrift ASU 17.1.13: Ausschuss_fuer_Stadtentwicklung_und_Umweltschutz_17_01_2013_Niederschrift[1]

Parallel zu diesem Antrag läuft eine Aktualisierung des Masterplans Einzelhandel, die auch die Probleme der Unteren Bahnhofstr. abdecken müsste.

Hoffen wir, dass das in den Brunnen gefallene Kind noch nicht endgültig gestorben ist. Voraussetzung für eine erfolgreiche „Therapie“  ist aus unserer Sicht allerdings, dass nicht nur geplant und Papier produziert, sondern das Problem mit der konzentrierten Kraft von Politik und Verwaltung gemeinsam angegangen wird.

* Der Begriff „Trading Down“ beschreibt einen typischen Entwicklungstrend eines Stadtteilzentrums vom vollständigen Angebot mit pulsierendem Leben hin zu zunehmenden Leerständen und ausbleibender Kundschaft.

Zum Themenkomplex „Stadtentwicklung“ siehe auch mein Beitrag „Herbeder Stadtteilzentrum – kaputt?„/April 2013.