Wie war es wirklich? Einblicke in einige Ereignisse der Geschichte der Wittener Kommunalpolitik
Die Gegenwart ist bekanntlich – neben ihrem Eigenrecht – auch ein Produkt der Vergangenheit. Was wir heute vorfinden, ist irgendwann einmal erfolgreich umgesetzt oder verbaselt worden. Das trifft auch auf die Wittener Kommunalpolitik zu. Um etwas Licht ins Dunkel der Vergangenheit und diverse Mythenbildungen zu bringen, bringe ich hier einen Beitrag, der sich auf die kürzlich vorgelegt „Geschichte Wittens“ von Prof. Dr. Heinrich Schoppmeyer bezieht und versucht, zwei für die kommunalpolitische Gegenwart wichtige Ereignisse – Gründung der Grünen und die Auseinandersetzung um den Rathausanbau in den 90er Jahren – aus Sicht des Zeitzeugen und Betroffenen zu präzisieren. Merke dabei: Ein Objekt von Manipulation und Privatmythenbildung sollte Geschichte – diese Aussage bezieht sich nicht auf die „Geschichte Wittens“, sondern auf andere an den Ereignissen Beteiligte – in unserem aufgeklärten Zeitalter nicht sein.
Schreiben an Prof. Dr. Schoppmeyer von Klaus Riepe (11.1.13):
Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Schoppmeyer,
ich habe am Dienstag Ihre Geschichte Wittens gekauft. Nach dem ersten flüchtigen Überlesen sind mir einige „Unebenheiten“ aufgefallen.
1. Sie datieren die Gründung der Wittener Grünen auf das Jahr 1983 (14.7.83): Gründung Grüne – Ortsverband Witten) (S. 352). Das ist falsch.
Der Ortsverband der Wittener Grünen ist – nach einem beachtlichen Wahlerfolg der von Ihnen erwähnten „Grünen Liste für Basisdemokratie und Umweltschutz“ bei den Kommunalwahlen 1979 – 1980 gegründet worden. Von den von Ihnen in der Anmerkung 224 zitierten Personen waren Ralf Behler, Eva Ihnenfeld und Helmut Dannert keine Gründungsmitglieder! Unter den Gründungsmitgliedern fanden sich u.a. (nachträgliche Ergänzung Klaus Riepe 30.4.13: neben meiner Frau und meiner Person) Namen wie (nachträgliche Ergänzung Klaus Riepe 30.4.13: Alfred Kollmeier (gegenwärtig attac)), Hans-Werner Firmenich (gegenwärtig Psychotherapeut in Witten), (nachträgliche Ergänzung Klaus Riepe 30.4.13: Evelyn Luhrenberg (gegenwärtig Dr. Evelyn Luhrenberg)) und Arno Klinger (gegenwärtig Sekretär des Sparkassenvorstands, langjähriger Schatzmeister der Grünen, 1996 aus Potest gegen die damaligen Machenschaften der „Stammtischgruppe“ mit dem gesamten damaligen Vorstand zurück getreten: s.u. Chronologie). Ralf Behler und Helmut Dannert sind erst 1983 den Grünen (Partei) beigetreten. Helmut Dannert hat damals die SPD verlassen.
1983 hat vielmehr im Vorfeld der Kommunalwahl 1984 eine Art „Entgründung“ der Grünen (Partei) stattgefunden: Nach internen Auseinandersetzungen über die Form der Beteiligung an der 1984 anstehenden Kommunalwahl ist ein Wittener Eigengewächs „GOL“ (Grün-Offene Liste) gegründet worden, das (Satzung) mit der existierenden grünen Partei nur noch locker über Einzelmitgliedschaften verbunden war (nachträgliche Ergänzung Klaus Riepe 30.4.13: Die Satzung der GOL legte fest, das Mitglieder der GOL nur Menschen sein könnten, die das Projekt GOL unterstützten; damit waren Kritiker des Projekts – so auch ich – automatisch außen vor; der existierende grüne Ortsverband war damit praktisch zerschlagen).
Diese GOL hat dann 1984 zur Kommunalwahl kandidiert und hat die Grünen in Witten bis 1989 im Rat repräsentiert. Ein größerer Teil der damaligen Ratsfraktion war nicht Mitglied der Grünen (Partei). Birgit Legel-Wood z.B. ist erst 1987 den Grünen (Partei) beigetreten (lässt sich auf Grund einer 2012 stattgefundenen Ehrung für 25jährige Mitgliedschaft zurück datieren). Der damals bekannteste Wittener „Grüne“ Karl Tewes war niemals (bis zu seinem Ausscheiden aus dem Rat 1994) Mitglied der Grünen (Partei). Auch Felix Dieter Deppe, der Ihnen bekannt sein dürfte, gehörte der „grünen“ Fraktion ab 1984 an und trat noch während der Wahlperiode (in den 80er Jahren ein Unikum, heute wird öffentlich über schwarz-grün spekuliert: Wie sich die Zeiten ändern!) zur CDU-Fraktion über.
Es hat mich von 1984 – 1989 einige Kraft gekostet, nach der inneren Zersetzung der GOL den darniederliegenden grünen Ortsverband (Partei) zu revitalisieren. Erst 1989 sind dann die Grünen (Partei) zur Kommunalwahl angetreten (übrigens ohne Helmut Dannert, der schlicht von den Grünen (Partei) 1989 nicht wieder zur Wahl aufgestellt worden ist und erst 1995 als Nachrücker für Birgit Legel-Wood erneut Ratsmitglied wurde: s.u. Chronologie). Ich bin 1989 zum ersten Mal Mitglied des Rats der Stadt Witten geworden. Nebenbei: Ich war 1983 der 1. Direktkandidat der Wittener Grünen (Partei) im Wahlbezirk Witten/Bochum zur damaligen Bundestagswahl am 6.3.1983 (vor Gründung der GOL! – 1990 wieder Direktkandidat, 1994 männlicher Spitzenkandidat – 2. Listenplatz, der 1. Platz war automatische einer Frau vorbehalten – zur Kommunalwahl). Sie merken, dass da etwas an der Chronologie windschief ist.
Das Datum 1983 entspricht der Privatmythologie und versuchten Geschichtsfälschung der von mir so genannten 1997er-Grünen (Produkt der Fraktionsspaltung 1997: s.u. Chronologie). Daten über den Zeitraum 1979 – 1999 können Sie Stichworten der unten stehenden Chronologie zu meiner Person entnehmen.
Von der in der Chronologie erwähnten „Stammtischgruppe“ sind im Rat und ratsnah übrig geblieben: Birgit Legel-Wood, Paul Wood, Jan Richter, Lilo Dannert (indirekt über den mittlerweile aus dem Rat ausgeschiedenen Helmut Dannert) in der Ratsfraktion der Grünen, pikanterweise Ursula (Ulla) Weiss (Ex-Kreistagsmitglied und Ex-Fraktionsgeschäftsführerin der Grünen im Kreistag, jetzt Sprecherin der Partei Die Linke und sachk. Bürgerin für DieLinke im Verkehrsausschuss, Oliver Kalusch (Ex-Fraktionsgeschäftsführer der Grünen-Alternativen, jetzt sachk. Bürger für DieLinke im Ausschuss für Stadtentwicklung und Umweltschutz)..
Daten und Stichworte beziehen sich auf meine Person und mein politisches Umfeld |
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1979 |
Kandidatur für die „Grüne Liste für Basisdemokratie und Umweltschutz“ |
1979 /80 |
Gründung der Grünen (bundes- und landesweit, kommunal) |
Nach 1980 |
Engagement in der Wittener Friedensbewegung, Anti-AKW-Bewegung etc., Mitarbeit im Grünen Landesverband |
1983 |
1. Direktkandidat der Grünen im Wahlkreis Bochum/Witten (Bundestagswahl) |
1983 /84 |
1. Spaltung der Wittener Grünen |
1984 |
aus grundsätzlichen Gründen keine Mitarbeit im Wittener Sonderkonstrukt GOL (Grün-Offene-Liste), die zur Kommunalwahl 1984 antritt und auf Anhieb 7 Mandate bekommt |
1985 |
Direktkandidat der Grünen im Wahlkreis EN-Süd (Landtagswahl) |
1984 – 1989 |
Faktische Nichtexistenz des grünen Ortsverbands, fortschreitender Zerfall der GOL |
Ab 1986 |
Arbeit an der Rekonstruktion des grünen Ortsverbands |
1989 |
1. kommunale Kandidatur für die Wittener Grünen (jetzt Partei); Einzug in den Wittener Stadtrat |
1990 |
Fraktionsvorsitzender der Grünen im Rat der Stadt Witten |
1990 |
2. Direktkandidatur für die Grünen im Wahlkreis Bochum/Witten; bei den Bundestagswahlen 1990 fliegen die Grünen aus dem Bundestag; Ergebnis in Witten: gut |
1994 |
2. kommunale Kandidatur für die Wittener Grünen; Wiedereinzug in den Rat der Stadt Witten; Grüne erreichen das bisher beste Ergebnis ihrer Geschichte ( 8300 Stimmen, 8 Mandate, im Wahlbezirk Vormholz mit eigener Kandidatur knapp unter 20%) |
1995 |
Erste Friktionen innerhalb der neuen Fraktion, ein Fraktionsmitglied verlässt den Rat |
1995 /96 |
Heftige innerparteiliche Auseinandersetzungen von Seiten einer sog. „Stammtischgruppe“, die sich in der ersten Phase vor allem gegen einen noch jungen Vorstand richten. |
1996 |
Ab Mai: Ankündigung und Vorbereitung eines Bürgerbegehrens gegen den geplanten Rathausanbau |
Spätsom-mer 1996 |
Rücktritt des kompletten grünen Vorstands aus Protest gegen die permanente Anmache |
Novem-ber 1996 |
Neuwahl Vorstand, die „Stammtischgruppe“ setzt sich mit knapper Mehrheit durch |
Anfang 1997 |
Bürgerbegehren gegen den Rathausanbau (SPD-Bürgermeister- Leuchtturmprojekt/Aktionseinheit von CDU und Grünen/14.000 unterschreiben für das Bürgerbegehren, Folge: Bürgerentscheid |
Ab Anfang 1997 |
Die Aktivitäten der „Stammtischgruppe“ fokussieren sich auf meine Person und die Zusammenarbeit mit Herrn Michael Hasenkamp ( Vorstandsmitglied, dann Vorsitzender der CDU); die „Stammtischgruppe“ sammelt unabhängig Unterschriften für das Bürgerbegehren, die dann nicht mehr auftauchen |
Ab Frühjahr 1997 |
Vorbereitung des Bürgerentscheids |
Juli 1997 |
Bürgerentscheid: Das Projekt Rathausanbau geht haushoch baden; am Tag nach dem Bürgerentscheid spalten sich die Mitglieder der „Stammtischgruppe“ von der grünen Fraktion ab und bilden eine eigene Fraktion (Grüne-Alternative) |
1999 |
Austritt aller Fraktionsmitglieder der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen aus der Partei (Begründung: Beteiligung am Krieg in Jugoslawien). Neuer Name der Fraktion: “Die Unabhängigen“/abgespaltene Fraktion behält ihren Namen bei (Grüne-Alternative); damit ist eine faktische „feindliche Übernahme“ durch die „Stammtischgruppe“ (und im Hintergrund die SPD) abgeschlossen, in den Folgejahren wird es kein eigenständiges politisches Profil der Grünen Witten mehr geben; mit dem grünen „Label“ werden indirekt Stimmen an die SPD gebunden |
1999 |
Unabhängige Bürgermeister-Kandidatur (ca 3200 Stimmen, 8,5%); Wittener Grüne („Stammtischgruppe“) brechen ein: Rückgang der absoluten Stimmen von 8300 auf 2700, prozentual von 13% auf 7,6%), Mandate von 8 auf 4 |
2. Sie schreiben auf S. 363: „Das war bei dem Bürgerentscheid über den sog. Rathausanbau 1997 nicht anders, der von Anfang an eine Kooperation ausschloss und auf einen Konflikt zusteuerte.“ Diese Einschätzung erweckt den falschen Eindruck, dass im Vorfeld des Bürgerbegehrens/Bürgerentscheids keine Kooperation möglich gewesen wäre.
Falsch deshalb, weil vor der Vorbereitung und Einleitung eines Bürgerbegehrens ab Frühsommer 1996 (ich habe auf einer Ratssitzung – im Mai 1996:s.o. – als Fraktionsvorsitzender der grünen Fraktion ein Bürgerbegehren angekündigt (s. Link: Anlage); der Ratsbeschluss im Dezember 1996 setzte dann erst ein kassatorisches Begehren in Gang) ein ganzes Jahr eine eine Machbarkeitsstudie begleitende Arbeitsgruppe der Fraktionen mit paritätischer Beteiligung der Fraktionen (SPD, CDU, Grüne) getagt hatte, an der u.a. ich teil genommen habe. Meine Linie war zu diesem Zeitpunkt nicht die grundsätzliche Ablehnung eine Randbebauung des Rathausplatzes, sondern die Öffnung zu Alternativen zum von der Verwaltungs- (Stadtbaurat, Planungsamtsleiter) und SPD-Spitze (vor allem Lohmann: „Der berühmte Architekt aus Berlin!“) dogmatisierten Schultes-Entwurf (der ja nur die leicht überarbeitete Version des Entwurfs eines „echten“ Rathausanbaus – reine Verwaltung – von Beginn der 80er Jahre war). Wie das – auch unter Beteiligung von Wittener Architekten – hätte laufen können, zeigt das aktuelle Verfahren zur Nutzung des Kornmarkts.
Die Machbarkeitsstudie hatte folgendes Ergebnis: Das „Wohn-,Büro- und Geschäftshaus“ hätte sich nur realisieren lassen, wenn die Verwaltung die Büros genutzt und eine garantierte überhöhte Miete gezahlt hätte. Selbst die an der Arbeitsgruppe beteiligte SPD-Fraktionsmitglieder waren am Ende gegen das Projekt, sind dann aber von Lohmann „zusammen geschissen“ und auf Linie (d.h. keine Berücksichtigung von Alternativentwürfen, Fixierung auf den Schultes-Entwurf) gebracht worden. Mir ist dann der Kragen geplatzt (Ankündigung und Einleitung des Bürgerbegehrens: s.o. und Folgendes).
→ Link: Rede Rathauszentrum 19.5.96 Klaus Riepe Rede Rathauszentrum 19.5.96
→ Link: Antrag Kornmarkt 1997 Antrag Kornmarkt 1997
Da ich Vertretungsberechtigter und aktiver Beteiligter des Bürgerbegehrens war, kann ich auch Ihre Einschätzung nicht teilen, dass Wirtschaftlichkeitsargumente bei der Auseinandersetzung im Vordergrund gestanden hätten. Die haben sicherlich eine Rolle gespielt (s.o. Machbarkeitsstudie), aber mit Wirtschaftlichkeitsargumenten gewinnt man keinen Bürgerentscheid. Entscheidend waren aus meiner Sicht: 1. Das Projekt war wirklich nur eine „getarnte“ Rathauserweiterung. 2. Der Klotz des Schultes-Entwurfs war schon visuell abschreckend. Und 3. Die Arroganz der Macht war offensichtlich.
Die von Ihnen angesprochenen das Bürgerbegehren unterstützende „Häuschen“ auf dem Rathausplatz war übrigens kein Informationsstand der CDU, sondern ist von der das Bürgerbegehren tragenden und bei ihren Treffen gut besuchten Bürgerinitiative gegen den Rathausanbau angemeldet und betrieben worden (auch die SPD hatte ja eine Art Gegenkoalition geschmiedet – mit einem wenig besuchten „Häuschen“ in geringer Entfernung). Wenn ich in dem „Häuschen“ gestanden habe – und ich habe häufig -, habe ich nicht an einem Info-Stand der CDU gestanden. Die intern festgelegt Regel war (übrigens in der Regel praktiziert bei Bürgerbegehren): „Die parteiunabhängige Träger-BI trägt das Verfahren, Parteien unterstützen“.
Soweit nach flüchtigen Überlesen. Das von mir Vorgetragene ist gut dokumentiert. Sollte mir Weiteres auffallen, werde ich mich melden.
Mit besten Grüßen
Klaus Riepe
lebender Zeitzeuge
11.1.13
P.S.: In der Anlage finden Sie meine Übersicht über die Wahlergebnisse der Gemeinderatswahlen in Witten ab 1994. Die sind insofern interessant, als sich aus ihnen das reale „standing“ von kandidierenden Personen bei den Wählern relativ plausibel erschließen lässt.
→ Link: Wahlergebnisse Kommunalwahlergebnisse 1994 – 2009
Ergänzung 29.04.13: Wie weit die Geschichtsfälschung in Witten mittlerweile geht, zeigt eine Einladung der Wittener Grünen für den 19. Juli 2013: 30 Jahre Grüne Witten – Save The Date 19. Juli (siehe oben: falsches Gründungsdatum).