Nationalistische Geschichtsmythen: Schlacht bei Warschau gegen sowjetische Truppen?
Am 15.8.23 lese ich in tagesschau.de folgenden Beitrag:
„Polen gedenkt Schlacht gegen Sowjetunion/Stand: 15.08.2023 18:20 Uhr
Mit einer Militärparade hat Polen der Schlacht von 1920 gedacht und Verteidigungsbereitschaft demonstriert: Seit dem russischen Krieg gegen die Ukraine sind Milliarden in neue Ausrüstung geflossen, die Armee wird weiter aufgestockt.
Polen hat mit einer großen Militärparade an den Jahrestag der Schlacht bei Warschau gegen sowjetrussische Truppen gedacht. … (https://www.tagesschau.de/ausland/europa/polen-warschau-militaerparade-100.html).
Ich stutze. Wie war das denn wirklich 1920?
1. Eine Schlacht bei Warschau gegen sowjetische Truppen konnte 2020 gar nicht stattgefunden haben, weil es 2020 noch gar keine Sowjetunion gab. Die ist erst 1922 gegründet worden*.
2. Eine Schlacht hat tatsächlich stattgefunden, und sie ist durch die polnische Armee gewonnen worden. Sie ist aber nicht gegen sowjetische Truppen, sondern gegen die damalige Rote Armee Russlands (!) gewonnen worden. Interessant ist allerdings, wie es zu dieser Schlacht gekommen ist, denn die hat eine Vorgeschichte, die für Polen nicht rühmlich ist. Dem Einmarsch der Roten Armee in Polen und der Schlacht waren nämlich ein militärischer Überfall der Polen auf Russland unter Pilsudski** und eine kurzfristige Eroberung der russischen Ukraine durch Polen vorauf gegangen, die durch eine Rückeroberung durch die Rote Armee und durch eine panikartige Flucht der Polen beendet wurde. Wie Isaac Deutscher zeigt, war der anschließende Einmarsch der Roten Armee in Polen innerhalb der bolschewistischen Partei durchaus strittig***.
*Siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Sowjetunion.
**Zu Pilsudski siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Jozef_Pilsudski. Interessant in dem WikipediA-Beitrag auch der Hinweis auf Überlegungen von deutscher Seite zu einem deutsch-polnischen Feldzug gegen die Sowjetunion.
***Zum gesamten geschichtlichen Ablauf siehe: Isaac Deutscher, Trotzki, Der bewaffnete Prophet, Stuttgart 1962, S. 429 – 441. Dort auch der interessante Hinweis auf den aufflammenden Nationalismus in Russland aungesichts des polnischen Angriffs.