Recht auf Selbstverteidigung?

Ich höre und lese immer wieder, die Ukraine habe als souveräner Staat ein Recht auf Selbstverteidigung. Das hört sich selbstverständlich und überzeugend an, ist es aber aus meiner Sicht nicht.

Schließlich geht es bei einer Selbstverteidigung nicht in erster Linie um eine Rechtsfrage, sondern viel entscheidender um eine Frage der Wirksamkeit. Denn was nutzt ein Recht*, wenn die Wahrnehmung dieses Rechts zu größerem Schaden für den rechtsbeanspruchenden Staat führt als ein Verzicht darauf? „Fiat iustitia et pereat Ukraine“ (Wir Ukrainer_innen verteidigen uns in Wahrnehmung unseres Rechts auf Selbstverteidigung, und gehe die Ukraine und ihre Bürger_innen dabei zugrunde) scheint mir für die Ukraine und das nachhaltige Wohlergehen von deren Bevölkerung keine besonders hilfreiche Maxime zu sein.

Das gilt übrigens nicht nur für die Ukraine. Auch für die Bundesrepublik würde die konsequente Wahrnehmung des Rechts auf Selbstverteidigung (konventionell und/oder atomar) auf deutschem Boden aller Wahrscheinlichkeit nach – entgegen den Defensiv- und Bunkerillusionen, die gegenwärtig fröhliche Urständ feiern** – eine nicht mehr lebenswertes Deutschland hinterlassen.

Der Raketenabwehrschutzschirm Arrow3 dürfte in dieser Hinsicht massiv überschätzt werden und eine totale Verwüstung nicht vermeiden können. Siehe dazu zur Erinnerung und leider wieder aktuell: Jonathan Schell, Das Schicksal der Erde/Gefahr und Folgen eines Atomkriegs, München 1982 und: H. Afheldt, Ch. Potyka, U.P. Reich, Ph. Sonntag, C.F.v. Weizsäcker, Durch Kriegsverhütung zum Krieg/Die politischen Aussagen der Weizsäcker-Studie „Kriegsfolgen und Kriegsverhütung“, München 1972.

*Das bei Staaten eh bei keiner übergeordneten Instanz eingeklagt werden kann: Es gibt keinen machthabenden und legal und legitim rechtdurchsetzenden Weltstaat, sondern nur stärkere und schwächere Staaten!

**Siehe auch mein Beitrag „Verstand verloren?“/1.3.22.