Wunschdenken
Ich reibe mir die Augen. Am 26.6.19 berichtet die WAZ („SPD und Bürgerforum: Kein Streit beim Klima“) über einen Brief des bürgerforums an die Wittener Partei- und Fraktionsvorsitzenden, in dem die „Klimafrage“ (Was ist das?) als ungeeignet für Parteikonflikte oder eine Verschiebung auf spätere Ratssitzungen bezeichnet wird. Jenseits aller Partei- und Gruppeninteressen gehe es darum, diese wichtige Menschheitsfrage „herunterzubrechen“ auf konkretes Handeln. Das bürgerforum habe beantragt, den Klimanotstand in den nächsten Ratssitzungen vordringlich zu behandeln (zu diesem sonderbaren Antrag siehe mein Beitrag „Farbe bekennen!“/23.6.19).
Ich frage mich, was das jetzt soll.
Erstens: Behandlung auf den „nächsten Ratssitzungen“ (Plural)? Auf der nächsten Ratssitzung am 2.7.19 steht die Angelegenheit Klimanotstand in Form von mehreren Anträgen (Grüne, Piraten, Linke) auf der Tagesordnung. Wenn denn der Klimanotstand als Reaktion auf eine zunehmende Klimakrise so vordringlich ist, sollte eine Entscheidung doch wohl möglichst schnell – und nicht erst auf den „nächsten Ratssitzungen“ – getroffen werden. Die Anträge der Grünen und Piraten sind seit langem bekannt und beschlussreif.
Zweitens: „Kein Streit“, „ungeeignet für Parteikonflikte“ und „jenseits aller Partei- und Gruppeninteressen“? Schön wär’s, wenn denn der Wegfall von Streit um die Klimakrise zu angemessenen und durchgreifenden Lösungen führen würde. Aber es dürfte doch auch jenseits des Wunschdenkens beim bürgerforum angekommen sein, dass das Klimaproblem zu heftigen politischen Auseinandersetzungen führt (überörtliches aktuelles Beispiel: möglichst schneller Ausstieg aus der Braunkohleförderung) – auch in Witten, wie die Reaktionen von CDU, FDP, WBG und „Solidarität für Witten“ auf den Vorstoß von Grünen und Piraten zeigen.
Denn ernst wird’s nicht bei wohlfeilen Bekenntnissen und Namensphantasien („Klimabündnis“), sondern beim wirksamen „Herunterbrechen“. Dann muss Farbe bekannt werden.
Kontroverse Positionen (Das ist aus meiner Sicht kein Streit!) sind legitim, beleben die Politik und gehören zur Demokratie. Diese Positionen müssen im Rahmen einer fairen Auseinandersetzung im Rat und in den Ausschüssen ausdiskutiert und mehrheitlich entschieden werden, und am Ende – Kommunalwahl: Rats- und Bürgermeister_innnenwahl in Witten 2020 – hat dann die Wählerin/der Wähler das letzte Wort.
Drittens: „Herunterbrechen“? – Ja, aber möglichst schnell und wirksam. Die Anträge von Grünen und Piraten enthalten einige gute Ansätze* zum schnellen und wirksamen „Herunterbrechen“. Eine mehrheitliche Zustimmung zu diesen Anträgen – ich hoffe immer noch auf einen gemeinsamen Antrag von Grünen und Piraten – wäre ein guter Anfang. Insofern wäre eine Zustimmung der SPD zum grünen/Piraten/gemeinsamen Antrag – die wahrscheinlich eine Mehrheit sichern würde – doch eine Gelegenheit, „wegweisende Dinge im Klimaschutz“ „nach vorne zu bringen“ (stellvertretender SPD-Fraktionsvorsitzender Martin Kuhn im genannten WAZ-Artikel) – und nicht zu verhindern. Das das geht, zeigt der gemeinsame Antrag von SPD und Grünen auf Kreisebene (Antrag SPD/Grüne 18.6.19: 2019-06-18 Antrag Klimaantrag ) .
*Auch der Antrag der Linken enthält gute Ansätze, ist aber meiner Meinung nach für einen erfolgreichen Einstieg (!) zu überfrachtet: 19-06-24_AT_LIFR_0819_Klimanotstand.