Bürgermeisterwahlkampf mit Wählerbetrug?

Der Bürgermeisterwahlkampf in Witten weist nicht nur possenhafte (Schweppe gegen Leidemann: beide SPD), sondern leider auch politisch gefährliche Züge auf.

Was sind dann die poltisch gefährlichen Aspekte des gegenwärtigen Wahlkampfs?

Für gefährlich halte ich insbesondere die hemmungslose Versprecherei mancher Kandidatinnen/Kandidaten und der diese unterstützenden politischen Gruppierungen in ihrer Wahlwerbung und in ihren Presseäußerungen.

Machen wir uns zuerst noch einmal klar, um was es bei dem Bürgermeisteramt in Witten eigentlich geht. Gewählt werden soll eine Person, die in der Lage ist, unter folgenden Rahmenbedingungen zu arbeiten:

– Sie unterliegt den einschränkenden Bedingungen der Gemeindeordnung NRW (siehe dazu meine Beiträge „Bürgermeister in Witten …“/03.07.15, „Dem Bürger dienlich?“/04.08.15 und „Das musste ja sein!“/10.08.15).

– Sie muss sich mit den gegebenen Mehrheiten im Rat arrangieren.

– Sie muss wegen des maroden städtischen Haushalts mit dem Druck der Kommunalaufsicht (entscheidend für die Genehmigung oder Nichtgenehmigung des Haushalts) und den restriktiven Bedingungen des Stärkungspakts zurecht kommen (siehe dazu z.B. meine Beiträge „Was bedeutet der Stärkungspakt für Witten?“/12.03.13, „Haushalt 2014 – Sparkommissar ante portas?“/25.11.13, „Mit voodoo zur Haushaltsgenehmigung?„/02.12.13, „Extrem dünnes Eis: Einbruchsgefahr“/02.12.14, „Bund und Land sollen zahlen?“/25.06.15, „Hannemann, geh Du voran!“25.06.15 und andere).*

– Sie ist qua Vorgabe der Gemeindeordnung letztinstanzlich für Organisation und Personal der Stadtverwaltung zuständig (wie der frühere Stadtdirektor).

– Sie muss sich kollegial mit den übrigen Fachdezernenten arrangieren. Mit Vetos läßt sich auf Dauer nicht arbeiten.

– Sie muss die Stadt nach innen und außen repräsentieren. Dies dürfte angesichts der Lage Wittens vielleicht anstrengend, aber noch der angenehmste Teil des Jobs sein.

Erstes Fazit: Die Bewegungs- und Gestaltungsmöglichkeiten im Bürgermeisteramt sind entgegen der Meinung eines Wittener Historikers und vieler Bürger faktisch denkbar gering.

Es ist schlichter Wählerbetrug. wenn vollmundig Kandidatinnen/Kandidaten versprechen, qua Bürgermeisteramt:

– (Die Linke:) „Demokratie für alle“, „soziale Gerechtigkeit“, ja selbst eine „konsequente Umweltpolitik“ umsetzen zu wollen. Abgesehen von der Schwammigkeit und Hohlheit der ersten beiden Slogans ist ein Bürgemeister bei jeder denkbaren Konkretisierung seiner politischen Zielvorstellungen vom Rat und damit von Mehrheiten im Rat abhängig – und zwar glücklicherweise bei jedem Schritt. Bei aller Kritik an Mehrheitsentscheidungen des Rates im Einzelnen: Ich halte ein derartiges Verfahren für entschieden demokratischer als das Agieren eines quasi diktatorischen Bürgermeisters, selbst wenn dieser direkt gewählt wird (von wievielen Bürgern?).

– (Piraten:) Witten „neu“ zu machen, die Neuausweisung von bestimmtem Gewerbeflächen (strawberryfields) und Schulschließungen zu verhindern. Das ist vielleicht für einen digitalen Bürgermeister möglich, für einen realen in NRW nicht. Auch hier wieder eine vorgezogenen Amtsanmaßung und schlichter Wählerbetrug, weil über diese Punkte nur der Rat entscheiden kann (bei Schulschließungen dürfte auch die Kommunalaufsicht ein Wörtchen mitzureden haben). Selbst die „Mitsprache“ bei dem mit viel Mitsprache, leider nicht Mitentscheidung, verbundenen Projekt „Unser Witten 2020“ musste vom Rat beschlossen werden.

Ich halte es im Übrigen auch für gefährlich und an Wählerbetrug grenzend, wenn nicht kandidierende, aber im Rat vetretene politische Gruppierungen Kandidaten mit allerlei Gewünschtem traktieren, zu dessen politischer Umsetzung sie offenbar selbst nicht in der Lage sind. Wie gesagt: Ein Bürgermeister in NRW ist kein Diktator oder messianischer  Retter aus der eigenen politischen Unfähigkeit.

Zweites Fazit: Kandidaten, die hemmungslos mit Versprechen operieren, die sie im Amt nicht erfüllen können, und die auf diese Weise zecks Stimmenfang den Wähler an der Nase herum führen, halte ich für nicht wählbar – sie mögen persönlich noch so sympathisch sein.

Letzte Anmerkung: Leider wird die Überbewertung des Bürgermeisteramts in Witten bisher auch durch die Medien unterstützt. Das trägt bedauerlicherweise nicht zur Aufklärung der Wähler, sondern zur Illusionsbildung bei – mit vorprogrammierter Frustration und steigender „Poltikverdrossenheit“.

* Einige der Kndidatinnen/Kandidaten haben möglicherweise noch nicht realisiert, dass auch der direkt gewählte Bürgermeister (wie der Rat) im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung verfassungsrechtlich Teil der Landesverwaltung, damit der Exekutive und weisungsgebunden ist. Auch hier dürfte der überschäumende Tatendrang schnell auf Grenzen stoßen (übertragene Aufgaben!).