Plakatwahlkampf: Schuss in den Ofen?

Huuh, ich fühle mich langsam von kleinen und großen Gesichtern erfolgt. Paranoia?

Aber Scherz beiseite: Es geht mir hier um die politischen Werbeplakate (große, kleine) der Parteien und Wählergeneinschaften, mit denen die Stadt – zumindest die Innenstadt – mittlerweile „bis über den Rand“ gefüllt ist. Die Plakatdichte ist gegenüber früheren Wahlen neu. Offenbar versprechen sich die plakatierenden Organisationen von diesem Werbemittel eine Wirkung auf die umworbenen Wähler_innen, sonst würden sie das Mittel in dieser Dichte ja nicht einsetzen. Was ist davon zu halten? Meine Einschätzung:

– Plakate sind wohl das billigste politische Werbemittel, obwohl ein Unkundiger möglicherweise etwas anderes vermutet. Aber in der Menge wird das ganze Spektakel schon einiges kosten.
– Ab einer gewissen Dichte – und die ist in der Innenstadt längst gegeben – dürften sich die Plakate gegenseitig neutralisieren. Die Wirksamkeit ist also gering.
– Die aktuellen Plakate beschränken sich häufig auf die Präsentation von Kandidat_innen-Fotos. Der politische Informationswert dieser Plakate ist gleich null. Warum soll ein Mensch ein Gesicht ohne weitere „Produktinformationen“* wählen, selbst wenn das Gesicht in Übergröße daher kommt?
– Gesichtsfotos (ob lächelnd oder nicht lächelnd) haben nur dann einen mobilisierenden Charakter, wenn weitere Informationen hinterlegt sind – z.B. über einen Hinweis zu einer Website – oder die abkonterfeite Person so bekannt ist, dass deren positives politisches Profil (positive Resonanz = Vertrauen!) automatisch assoziiert wird**. Das ist gegenwärtig in vielen Fällen nicht der Fall, insbesondere bei den Plakaten von Wahlbezirkskandidat_innen.

Fazit: Insofern dürfte diese Form der Plakatwerbung weitgehend ein Schuss in den Ofen sein (oder ein Griff ins Klo, gemessen an der Mobilisierungsabsicht). Hinzu kommt, dass ein solcher weitestgehend auf Fotos reduzierter Wahlkampf zeigt, wie wenig die politische Elite in spe dieser Stadt der politischen Intelligenz ihrer Wähler_innen zutraut. Im worst case führt das zu zunehmendem politische Desinteresse und einem weiteren Rückgang der Wahlbeteiligung (bei der letzten Kommunalwahl 47,20 %, der absolute Tiefstwert seit 1994).

Ich hatte in meinem letzten Post „Auch SPD und CDU: Offensichtlich keine Lernbereitschaft“/12.8.20 (siehe auch den Beitrag „WBG: Selbstglorifizierung statt Lernbereitschaft„/11.8.20) geschrieben: „Für die kommunale Demokratie, die Wähler_innen und Bürger_innen ist das Schwächeln der Großen tragisch, denn dieses Schwächeln wird durch die vermehrte Zahl der Kleinen nicht wett gemacht. Die Folge ist die zunehmende Dominanz einer (in Witten leider eher schlechten, teuren ideenarmen und durch den Rat unkontrolliert arbeitenden) Verwaltung“.

Die aktuelle Plakatwerbung dürfte diesen Trend noch verstärken. Schade. Vielleicht sollten sich die im Rat präsenten politischen Formationen („große“ wie „kleine“) doch einmal fragen, wieso der mittlerweile überwiegende Teil der Wahlberechtigten nicht mehr bereit ist zu wählen. An der immer wieder beschworenen Gleichgültigkeit allein kann es aus meiner Sicht nicht nicht liegen. Vielleicht dann doch an der über die Wahlperiode betriebenen schlechten Qualität der Politik – sowohl der Organisationen wie ihrer einzelnen Mitglieder?

*Bei meinen relativ erfolgreichen Kandidaturen in Vormholz (1994, 1999, 2004, 2014) habe ich mich immer genötigt gesehen, eine Kandidatenvorstellung (Foto + Tätigkeitsbilanz + politische Schwerpunkte) persönlich zu verteilen. Bei meiner Bürgermeisterkandidatur 1999 habe ich dies über ausführliche programmatische Zeitungsannoncen versucht. Das war nicht nur Eigenwerbung, sondern auch eine Frage der Ehrlichkeit. Wer keine Tätigkeitsbilanz vorweisen kann, ist eben eine unbeschriebenes Blatt und bei einer Neukandidatur ein I-Frauchen/Männchen. Bei einem solchen I-Frauchen/Männchen ist dann die Gefahr groß, dass sie/er nach kurzer Zeit feststellt, dass sie/er – falls gewählt – ein Ratsmandat falsch eingeschätzt hat, die Lust verliert und über Jahre dauerenttäuscht nur noch im Rat rumhängt.

**Das war z.B. früher in den glorreichen Zeiten der Wittener SPD automatisch der Fall, weil die Kandidat_innen durch die relativ homogenen sozialdemokratischen Milieus in den Wahlbezirken und die große Zahl der Parteimitglieder gut verankert waren. Die Milieus haben sich bekanntlich aufgelöst, und die Zahl der Parteimitglieder dürfte sich auch stark reduziert haben. Tempi passati! Den Wegfall der Verankerung durch Zahl und Größe der Kandidat_innen-Fotos wett machen zu wollen, halte ich allerdings für abenteuerlich. Dass das nicht funktioniert, haben schon die letzten Wahlen gezeigt, und das jetzige Überdrehen wird daran nichts ändern. Mein Vorschlag: Wie wär’s alternativ mit einer überzeugenden und argumentativ gut begründeten Politik – nicht nur als Programm, sondern schon während der laufenden Wahlperiode? Das ginge allerdings nur, indem mensch sich – bei Bedarf auch selbstkritisch – den Problemen der Stadt stellt, statt alles immer wieder schön zu reden und die Schuld an den Problemen bei anderen zu suchen.