Fundsache: Profitieren von Missständen

Bei erneuter Lektüre eines Buches, das mich stark beeinflusst hat (Martin Jänicke: Wie das Industriesystem von seinen Mißständen profitiert/Opladen 1979!), beeindruckte mich die Unterscheidung zwischen politischer Problembeseitigung und bürokratisch-industrieller Symptombehandlung (zu der eine Wahlverwandtschaft zwischen Bürokratie und kapitalistischer Industrie neige). Diese Symptombehandlung führe zur Erhaltung und Verschleppung von selbsterzeugten Problemen bei gleichzeitigem Profitieren von ihnen. In diesem Zusammenhang fiel mir insbesondere folgende Passage auf (S. 68):

„Unter dem Stichwort der industriellen Risiko-Produktion verdient ein hochkomplexer Bereich besondere Beachtung, der der spezialistischen Entsorgungsmaschinerie wohl am unzugänglichsten ist (und entsprechend als umweltpolitisches Nebenthema gilt): Der Bereich der Klimarisiken, wie sie durch die Kombination von direkter Aufheizung in den Ballungsräume und gleichzeitiger Zunahme von Treibhauseffekten durch CO2 entstehen. Ihre Schadenspotentiale reichen von weitgehender Erntevernichtung durch Dürre wie Überschwemmung, bis zu Produktionsausfällen durch Wassermangel oder extremer Kälte. An den in diesem Zusammenhang stehenden Prognosen über die Folgen eines Abschmelzens des Polareises ist mehr als dessen Düsternis die Tatsache beunruhigend, dass das technokratische System der Problembehandlung hier völlig inkompetent ist (und entsprechend reagiert).“

Diese Diagnose ist jetzt fast 40 Jahre alt. Mittlerweile ist der schädliche Klimawandel durch Treibhauseffekte kein Nebenthema mehr, weil er weit fortgeschritten ist und die negativen Auswirkungen immer spürbarer werden (Der Klimawandel ist auch eine Fluchtursache!).

Und die Kompetenz des technokratischen Systems der Problembehandlung? Die wird durch folgende zwei Artikel deutlich:

→ CO2-Ausstoß in Deutschland steigt massiv CO2-Ausstoß in Deutschland steigt massiv

→ CO2-Ausstoß 2016_Deutschlands Emissionen erneut angestiegen CO2-Ausstoß 2016_ Deutschlands Emissionen erneut angestiegen

Anlass zur Beunruhigung? Allerdings!

Übrigens enthält das genannte Buch auch ein instruktives Kapitel „Kosten und Nutzen II: Gesundheitswesen“ (S. 71 – 88) zum „medizinisch-industriellen Komplex“ („… von seinen Mißständen profitiert“), im Wittener Wirtschaftsförderungsjargon „Gesundheitswirtschaft“ genannt. Merke: Nicht jedes Wachstum ist gesellschaftlich produktiv, und nicht jede Behandlung sinnvoll (siehe dazu auch: Spiegel 47/17.11.2018: Leben ohne Schmerz)