Flucht und Migration: Archeprinzip als Aufgabe

Bei der ersten Flüchtlings- und Migrationswelle Anfang der 90er Jahre des vorigen Jahrtausends habe ich für mich den Begriff Archeprinzip geprägt. Was meinte das?

Wir alle kennen die Geschichte: Vor der Sintflut bekommt Noah den göttlichen Auftrag, eine Arche zu bauen. Er tut dies, nimmt jeweils ein Paar bestimmter Tiere auf und rettet damit sich selbst, die Gattung Mensch und andere Gattungen.

Diese Rettung ist nur deshalb erfolgreich, weil die Arche nicht zu klein und nicht zu groß ist und nur – der Größe angemessen – jeweils ein Paar der Tiere aufgenommen wird: Die Arche durfte nicht überlastet werden.

Die Rettung funktionierte also nur bei Berücksichtigung bestimmter Quantitäten (Kollateralschäden übrigens: Alle anderen sündigen Menschen und alle anderen Tiere sind in der Sintflut umgekommen. Bei genauerem Hinsehen also keine Herz erhebende Geschichte). Heute müsste mensch sagen: Noah war nur erfolgreich, weil er bestimmte Obergrenzen – um diesen perhorreszierten Terminus aufzugreifen – berücksichtigt hat.

Was hat diese Geschichte mit der jetzigen Flüchtlings- und Migrationsproblematik zu tun und was können wir aus der Noah-Geschichte lernen?

Wenn wir das Bild der Arche auf unserer Gesellschaft übertragen – sagen wir die Bundesrepublik Deutschland -, ist diese Arche nicht auf göttlichen Auftrag hin gebaut, und es geht auch nicht darum, die Welt zu retten. Erstens ist die Rettungsaufgabe begrenzter (Flucht und Migration), und zweitens können wir die Kapazität der Arche selbst bestimmen.

Dennoch dürfte auch diese Kapazität grundsätzlich begrenzt sein. Wir, d.h. die Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland, können die Größenordnung der Rettung grundsätzlich selbst bestimmen, aber wir müssen dann auch bereit sein, die Belastungen (finanziell, kulturell) der jeweiligen Größenordnung zu tragen. Eine Obergrenze wird es also immer geben, nur eben: Welche?

Gegenwärtig scheint es so, als sei eine Mehrheit der Deutschen nach der Welcome-Phase überzeugt, die Obergrenze sei mehr oder weniger erreicht, und es gelte, jede weitere Belastung zu vermeiden. Hintergrund: Es ist immer klarer geworden, dass Welcome mit Folgeproblemen verbunden ist. Deshalb der schleichende Stimmungswechsel von der Welcome- zur Abschottungsphase.

Von Arche ist nicht mehr viel zu spüren. Übrigens auch nicht bei denjenigen, die die Welcome-Position am lautesten vertreten haben – „offene Grenzen“ ist ja wohl kaum als vertretbare Position zu bezeichnen. Jedenfalls hat die Lautstärke der politischen Kritik an der Abschottung und das Eintreten für „Welcome“ stark abgenommen.

Statt ein eigenes fundiertes „Welcome“- Konzept zu propagieren, das die finanziellen und kulturellen Grenzen der Arche berücksichtigen müsste, fokussiert sich die Kritik auf einzelne Aspekte der Abschottung und das Hochhalten abstrakt humanitärer Werte.

Mich wundert dieser Wechsel, weil es eine wirkliche gesellschaftliche Diskussion über die Pflicht zur Arche, aber eben auch über die damit verbundenen Kapazitäts- und Obergrenzen nie gegeben hat. „Wieviel Flüchtlingsaufnahme und Migration verträgt unsere Gesellschaft?“ – darüber muss politisch entschieden werden und nicht bürokratisch. Die bürokratisch-juristische Bearbeitung des Asylrechts und ein Einwanderungsgesetz, das sich am Bedarf von Fachkräften orientiert, reicht für ein Funktionieren der Arche nicht (siehe zu diesem Thema auch meine Beiträge „Flüchtlinge oder Migrantinnen/Migranten – Bitte genau hinsehen!“/5.1.16 und „Verfolgungswahn?“/29.1.16).