Urlaub auf der (ukrainischen) Krim im Frühjahr?
Vor kurzem meinte jemand, eine Diskussion über den Ukraine-Krieg mit der Äußerung beginnen zu können, er wolle seinen Urlaub im Frühjahr auf der (gemeint: dann wieder ukrainischen) Krim verbringen. Die Äußerung sollte die Solidarisierung mit den deklarierten ukrainischen Kriegszielen klar machen. Verbunden war die Äußerung mit dem impliziten Anspruch, auf der moralische richtigen Seite zu stehen („wegen „Bruch den Völkerrechts“ durch Russland) und natürlich (deklarierte Kriegsziele der Ukraine) der Befürwortung von steigenden Waffenlieferungen.
Für mich war durch diese Positionierung eine Diskussion schon im Ansatz obsolet geworden. Formal, weil die Positionierung die feste Überzeugung signalisierte, auf jeden Fall Recht zu haben (und über feste Überzeugungen lässt sich nach meiner Erfahrung nicht diskutieren), und inhaltlich, weil ich eine solche Positionierung gegenwärtig für unmoralisch und verantwortungslos halte. Warum?
Die Positionierung unterstellt offenbar, es gäbe eine Art juristischer (und moralischer) Verpflichtung Deutschlands und seiner BürgerInnen, auf den Völkerrechtsbruch Russlands mit Sanktionen und Waffenlieferungen an die vom Rechtsbruch Betroffenen zu reagieren. Das ist natürlich schon deshalb Heuchelei, weil bei Völkerrechtsbrüchen anderer Staaten (z.B. der USA) eine solche Verpflichtung von deutscher Seite nicht gesehen wurde (Siehe dazu die Argumentation von Sarah Wagenknecht im SPIEGEL-Gespräch mit Carlo Masala, in: DER SPIEGEL, Nr. 2, 7.1.23, S. 68).
Das Völkerrecht ist eine juristische und politische Norm, ohne dass es eine mit einem Gewaltmonopol ausgestattete staatliche Instanz geben würde, die legitim und legal in der Lage wäre, diese Norm durchzusetzen*. Deshalb führt eine Verletzung der Norm (Rechtsbruch) immer wieder dazu, dass die versuchte Ahndung dann doch auf ein wirtschaftliches und/oder militärisches Kräftemessen zwischen Staaten hinausläuft. So auch wieder im Fall des Ukraine-Konflikts.
Wenn Deutschland sanktioniert und Waffen liefert, hat es dafür keinen die Rechtsverletzung ahndenden Auftrag (Wer sollte ihn erteilt haben?), sondern spielt sich im Bündnis mit anderen als selbsternannter Sheriff auf und verfolgt unter dem Deckmantel der Moral schlicht prosaische wirtschaftliche und politische (im Bündnis mit anderen, speziell den USA: hegemoniale) Interessen. Und wenn mensch diese Interessen teilt, sollte sie/er dies auch offen sagen und nicht selbstgerecht pseudomoralische Argumente vorschieben.
Kommen wir jetzt zu den ukrainischen Kriegszielen, die unser zitierte Jemand ja offenbar unterstützt („Urlaub auf der Krim“). Alle belastbaren Daten deuten gegenwärtig darauf hin, dass die immer wieder deklarierten ukrainischen Kriegsziele (vollständige Rückeroberung des ursprünglichen ukrainischen Territoriums einschließlich der Krim) militärisch und politisch unerreichbar sind – zumindest ohne direktes Eingreifen der NATO, deren Eingreifen aber wahrscheinlich einen 3. Weltkrieg zur Folge hätte.**
Die Wiederholung der Kriegsziele scheint mir nichts anderes zu sein als der Versuch der ukrainischen Führung, in einer real angesichts der wachsenden Opfer verzweifelten Lage mit verstärktem Nationalismus den Durchhalte- und Opferwillen der eigenen Bevölkerung zu motivieren. Ob das sture Festhalten an den Kriegszielen, die damit verbundene Ablehnung von Verhandlungen und Inkaufnahme einer wachsenden Zahl von Toten zugunsten eines Staatsfetisch (territoriale Integrität des ukrainischen Staatsgebiets) und einer korrupten ukrainischen Elite moralisch zu rechtfertigen ist, wage ich zu bezweifeln.
Mit Sicherheit gar nicht moralisch zu rechtfertigen ist allerdings die Unterstützung der Kriegsziele durch politische und militärische (Waffenlieferungen!) Unterstützung aus der Ferne, die nur zur einer Maximierung der killing-rates (sowohl auf ukrainischer wie auf russischer Seite) beitragen dürfte. Moralisch wäre vielmehr eine konsequente Politik der Minimierung und Beendigung der killing-rates, heißt: Druck auf die ukrainische Führung zur Abkehr von ihren maximalen Kriegszielen, Waffenstillstand und Verhandlungen.***
Mein Fazit zu dem Wunsch, im Frühjahr Urlaub auf einer (ukrainischen) Krim machen zu wollen:
Wer in Deutschland den starken Max markiert (wie unser Jemand in trauter Eintracht mit Herrn Hofreiter**** und KonsortInnen, selbstverständlich aus der Ferne als Chickenhawks*****) und mit bellizistischen Stammtischparolen hausieren geht, handelt nicht moralisch, sondern unmoralisch, verantwortungslos – und auch noch feige (Sterben sollen gefälligst nur die anderen!).******
*Siehe dazu mein Beitrag „Putin-Rede: Ist da was dran?“/24.2.22, Anmerkung ***.
**Wahrscheinlich von unserem Jemand nicht gewollt (oder?), weil ein 3. Weltkrieg den Urlaub auf der Krim unmöglich machen, die Ferne des jetzigen Ukraine-Kriegs unmittelbar aufheben und sogar die eigene Existenz unseres Jemand – Pardauz, blöd gelaufen? – in Frage stellen würde.
***Siehe dazu: https://www.nachdenkseiten.de/?p=92256.
****Siehe dazu: https://taz.de/Portraet-Anton-Hofreiter/!5901694/. Der Mann hat offenbar bei seiner Kriegshetze beste Laune. Das muss mensch erst einmal bringen! Zu Hofreiter siehe auch meine Beiträge „Anton Hofreiter auf Kriegspfad – zum 3. Weltkrieg?“/14.4.22 und „Anton Hofreiter und CDU: absurde Umtriebigkeit“/20.4.22.
*****Zu Chickenhawks siehe mein Beitrag „Einmarsch Russlands in die Ukraine: Ist die Sicherheit Europas und der BRD in Gefahr?“/25.2.22, Anmerkung *.
******Andernfalls sollte unser Jemand sich freiwillig bei der ukrainischen Armee zu den Waffen melden, um die Krim zu „befreien“. Ein solcher Akt wäre dann immer noch unmoralisch und verantwortungslos, aber immerhin konsequent. Das gilt übrigens auch für Herrn Hofreiter und andere deutsche Chickenhawks und Armchair-“KriegerInnen“.