Jetzt doch Pflugscharen zu Schwertern?

Ergänzung 7.2.22: Hier eine einigermaßen plausible Einschätzung der aktuellen militärischen Lage in der Ukraine und ein Hinweis auf die Gefahren von Waffenlieferungen https://www.zdf.de/nachrichten/politik/ex-general-vad-russland-ukraine-krieg-100.html.

Am 7.3.22 titelt die WAZ: „Kurschus offen für Waffenlieferungen“. Ich fass‘ es wieder nicht. Was mag da im Kopf der Ratsvorsitzenden der evangelischen Kirche, Annette Kurschus, passiert sein? Jetzt also Pflugscharen zu Schwertern, weil ein Land, dessen Widerstand gegen eine völkerrechtswidrigen Angriff mensch unterstützt, ein Selbstverteidigungsrecht habe? Waffenlieferungen an die Ukraine?

Folgendes sollte doch auch einer evangelischen Christin klar sein:

Unabhängig von Rechtsfragen – selbstverständlich ist dieser Krieg völkerrechtswidrig, wie viele andere vor ihm – sollte dieser Krieg im Interesse der leidenden und sterbenden Ukrainer und der leidenden, sterbenden und in den Krieg gezwungenen russischen Soldaten so schnell wie möglich beendet werden.

Dieser Krieg ist militärisch durch die Ukraine ohne ein Eingreifen der NATO nicht zu gewinnen*. Ein Eingreifen der NATO würde aber aller Wahrscheinlichkeit nach schnell zu einer atomaren Auseinandersetzung auf europäischem Boden eskalieren. Folge: Kollektiver Selbstmord Europas einschließlich der BRD und Ende der bequemen Chickenhawk-Position unserer Berufschristin. Will Frau Kurschus das riskieren?

Wenn dieser Krieg nicht zu gewinnen ist, was sollen dann Waffenlieferungen erreichen? Sie können doch nur zu einer „heldenhaften“ Verlängerung des Tötens mit einem bitteren Ende für die „Helden“ führen. Wie ich in meinem Beitrag „‚Heldenhafter‘ Widerstand?“/3.3.22. geschrieben habe: „Auch „Heldentode“** (sowohl von Militärs wie von Zivilisten) sind nur ganz prosaische Tode, bei dem für die Getöteten Leben und Geschichte endgültig zu Ende sind. Das gilt auch für die getöteten russischen Soldaten. Deshalb kann ich mich weder über den Tod der „Helden“ noch über die ukrainische Meldung von 5840 getöteten russischen Soldaten (Meldung vom 2.3.22) freuen, die in einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg geopfert werden.“

Bleiben am Ende nur Verhandlungen und diplomatische Lösungen unter Einschluss Russlands** und – last but not least – das Umschalten der Ukraine auf zivilen Widerstand. Letzteres ist in der Friedensbewegung der 1980er Jahre schon einmal intensiv als Alternative diskutiert worden, um das Töten bei militärischen Widerstandsaktionen zu vermeiden.

Abschließend: Ich sehe mit Schrecken, wie in Kiew und anderen Orten der Ukraine Molotowcocktails angefertigt und verteilt. Warum mit Schrecken? Weil sich diejenigen Zivilisten, die in Wahrnehmung ihres Rechts auf Selbstverteidigung Molotowcocktails nutzen, sich auch laut Kriegsrecht in „Kombattanten“ transformieren und als solche getötet werden können. Siehe dazu: https://www.arminwolf.at/2022/03/04/was-ist-im-krieg-nicht-erlaubt/.

Ich höre weiterhin mit Schrecken, wie in den bundesdeutschen Medien neuerdings verantwortungslos vom Sinn einer „Wehrhaftigkeit“ gefaselt wird. Ein Einsicht der Friedensbewegung der 1980er Jahre war es, dass die Bundesrepublik auf ihrem Terrain ohne nicht zu verantwortende Kosten weder konventionell noch atomar zu verteidigen ist***. Also bleibt als „Verteidigung“ doch nur der schon bestehende atomare Schutzschirm der NATO gegen potentielle Aggressoren. Konventionelle und atomare Aufrüstung der Bundeswehr dürfte die Sicherheit unseres Landes nicht erhöhen, sondern nur den Profiten des militärisch-industriellen Komplexes nutzen und die Inflation anheizen (Die Produktion von Rüstungsgütern ist nichtreproduktiv und entzieht Mittel für sinnvolle zivile Investitionen).

*Deshalb die bisherige klare Position der NATO, nicht einzugreifen. Zur Unwirksamkeit anderer Maßnahmen siehe mein Beitrag „Ich fass‘ es nicht!“/28.2.22.

**Insofern ist der „Erklärung zur Abstimmung über den Ukraine-Antrag von SPD/CDU/CSU, Bündnis 90/DIE GRÜNEN und FDP am 27.02.2022“ der Linken-Gruppe um Sahra Wagenknecht voll beizupflichten: Erklärung Abstimmung Ukraine Antrag. Die Behauptung des ukrainischen Botschafters, siege Putin, mache er auch vor Deutschland nicht halt, ist natürlich reine Propaganda.

***Siehe dazu (in meiner Bibliothek gefunden): Petra Kelly/Jo Leinen (Hrsg.), Prinzip Leben/Ökopax – die neue Kraft (hier insbesondere Wolf Perdelwitz, Weder rot noch tot/Plaidoyer für eine alternative Sicherheits- und Freidenspolitik, S. 58 – 65), Berlin 1982 und Wolf Perdelwitz/Heiner Bremer, Geisel Europa, Berlin 1981. Die Auflösung der vormaligen Bipolarität hat die Gefahr eines kollektiven Selbstmords (auch und immer noch Deutschlands) nicht verringert, sondern gesteigert – wie sich gegenwärtig zeigt.

Zur NATO grundsätzlich immer noch aktuell: Alfred Mechtersheimer, Zeitbombe NATO/Auswirkungen der neuen Strategien, Köln 1984, Cover-Text: „Die NATO entwickelt sich zu einem Offensivbündnis und macht damit einen Krieg auf dem ‚integrierten Gefechtsfeld Deutschland‘ wahrscheinlicher“; auch instruktiv: Dietrich Schulze-Marmeling, Die NATO/Anatomie eines Militärpakts, Göttingwen 1987.