Beschlossener städtischer Haushalt 2021: Handlungsfähigkeit?

Mittlerweile liegen die (nicht gehaltenen) Haushaltsreden – mit einer Ausnahme: Bürgerforum+ – schriftlich vor. Sie sind unter WAZ-Online „Witten: Die Haushaltsreden der Fraktionen im Überblick“/16.2.21 abrufbar. In den Reden der SPD und CDU wird als Rechtfertigung für die Zustimmung die Erhaltung der „Handlungsfähigkeit“ beschworen.

Klar, es läuft irgendwie und irgendwie immer schlechter weiter. Aber „handlungsfähig“? Ist es „Handlungsfähigkeit“, wenn die Stadt ihre Kosten (auch Personalkosten) über steigende Liquiditätskredite* finanziert? Und ist es handlungsfähig, wenn die Stadt bei steigenden Investitionen (zum großen Teil schlichte nachholende Reparatur) gänzlich am Tropf der Fördermittel hängt und von der Kulanz der Fördermittelgeber abhängig ist?

Wenn „Handlungsfähigkeit“ bedeuten soll, dass eine Kommune nie – egal wie hoch Verschuldung und Defizit steigen – pleite gehen kann (Das Wittener städtische Eigenkapital ist seit 2010 aufgebraucht!), dann wird diese „Handlungsfähigkeit“ immer gesichert sein. Allerdings: Spätestens bei der Nichtgenehmigung eines Haushalts durch die Kommunalaufsicht würde die unbeschwerte „Handlungsfähigkeit“ dann abrupt ein Ende haben. Die dann anstehenden Einschnitte dürften bitter werden – leider am bittersten für die Bürger_innen.

Deshalb ist für mich nach wie vor die beste Haushaltsrede die Etatrede des Kämmerers, denn sie hat sich getraut deutlich zu machen, in welchem Ausmaß der aktuelle Haushalt marode ist und die zukünftigen Haushalte der Stadt Witten im prognostizierten Zeitraum bis 2024 marode sein werden. Hier noch einmal die Etatrede des Kämmerers: Etatrede_2021**. Siehe dazu auch mein Beitrag „Haushaltskrise pur: Eine instruktive und ehrliche Bilanz des Kämmerers“/28.12.20.

*Zu Liquiditäts- oder Kassenkrediten siehe: https://kommunalwiki.boell.de/index.php/Kassenkredite, dort insbesondere Punkt 2/Krisenindikator. Corona dürfte den Negativtrend je nach finazieller Ausgangslage der Kommune verstärkt haben. Da der Wittener Haushalt unter einer besonders schlechten Ausgangslage leidet, ist auch in Witten der Negativtrend besonders ausgeprägt.

**Einige Zahlen aus der Kämmerer-Rede (Summen in Mio., Seitenzahlen beziehen sich auf die Rede)/2020, 2021 und 2024 als Vergleichsjahre:

– Der Einbruch der Einnahmen ist vor allem wegen des Einbruchs der Gewerbesteuer gravierend!

– Kosten treibende Faktoren sind vor allem die Personalkosten und Tranfers (allerdings pflichtig)!

– Die Entwicklung der Zinsbelastung ist bzgl. der Kosten und des Defizits unerheblich. Allerdings nur wegen der aktuell niedrigen Zinsen (Risiken)! Eine Entschuldung würde also aktuell kaum Auswirkungen auf die Verminderung der Kosten haben!

Einnahmen:

ordentliche Erträge (S. 2):

2020 308
2021 286,4 (Einbruch 2021)
2024 307,7

Erträge vermindern sich bis 2024 um 0,3

Steuern (S. 2):

2020 158
2021 136,6 (Einbruch 2021)
2024 152 (Einbruch 2024)

Steuern vermindern bis 2024 sich um 2

Gewerbesteuer (S. 2):

2020 60
2021 38 (Einbruch 2021)
2024 44 (Einbruch 2024)

Gewerbesteuer vermindert bis 2024 sich um 16

Ausgaben:

Personal (Der Hauptteil der Ausgaben fließt in den nichttechnischen Dienst/Verwaltung) (S. 7):

2020 79
2021 83 (Kostensprung 2021)
2024 86 (Kostensprung 2024)

Personalausgaben vermehren sich bis 2024 um 7

Der Anstieg der Personalkosten ist bis 2024 gravierend!

Transfer (bei den Transfers handelt es sich um sozialstaatliche Leistungen der Kommune (S. 7):

2020 154,5
2021 153,5
2024 161,7 (Kostensprung 2024)

Transfers vermehren sich bis 2024 um rd. 7 (Die Transfers entsprechen praktisch den pflichtigen sozialstaatlichen Aufwendungen)

Zinsen:

2020 5,1
2021 3,4
2024 4

Zinsen vermindern sich bis 2024 um 1,1

Zinsen kein Kosten treibender und Defizit vergrößernder Faktor!

Liquidität (S. 11):

2020 2,8
2021 1,6 (Kostenminderung 2021)
2024 2,7 (Kostenminderung 2024)

Zinsen Liquidität vermindern sich bis 2024 um 0,1

Investiv (S. 11):

2020 2,3
2021 1,8 (Kostenminderung 2021)
2024 1,3 (Kostenminderung 2024)

Zinsen Investiv vermindern sich bis 2024 um 1 (Warum sollen die Zinsen bei steigender investiver Verschuldung sinken?)

Verschuldung (S. 13):

2020 379
2021 407 (Verschuldungsanstieg 2021)
2024 492 (Verschuldungsanstieg 2024)

Verschuldung steigt bis 2024 um rd. 113

Liquidität (S. 13):

2020 328
2021 351,4 (Verschuldungsanstieg 2021)
2024 420 (Verschuldungsanstieg 2024)

Verschuldung Liquidität steigt bis 2024 um rd. 92

Investiv (S. 13):

2020 51,5
2021 55,7 (Verschuldungsanstieg 2021)
2024 73 (Verschuldungsanstieg 2024)

Verschuldung Investiv steigt bis 2024 um rd. 22,5 (Das trotz hoher Fördermittel!)

Defizit:

Defizit ohne Isolation (S. 12):

2020 -10
2021 -20,5 (Defizitsteigerung 2021)
2024 -17

Defizit ohne Isolation steigt bis 2024 um 7