Wer spielt hier mit falschen Karten?
Der ehemalige Stadtbaurat Herr Dorsch wirft in der WAZ vom 9.2.16 („Das Gesicht der Stadt geprägt“) den Betreibern des Bürgerbegehrens/Bürgerentscheids gegen den „Rathausanbau“ (Formulierung von Herrn Dorsch im genannten Artikel!) von 1997 vor, mit falschen Karten gespielt zu haben. Was ist davon zu halten?
– Gab es ein Kaufangebot, wie Herr Dorsch behauptet? Nein (Siehe dazu meine „Rede Rathauszentrum 19.5.96“: unten).
– War das Projekt total vermarktet? Nein (Siehe dazu meine „Rede Rathauszentrum 19.5.96“: unten). Da der städtische Haushalt schon 1997 hoch defizität war, hätte meiner Meinung nach die Kommunalaufsicht eigentlich schon damals intervenieren und das Projekt stoppen müssen.
– Sollte das Rathaus nicht in das „Wohn-,Büro- und Geschäftshaus“? Doch, sollte. Denn ohne Anmietung der Büroflächen durch die Stadtverwaltung hätte sich die Investition für einen Investor überhaupt nicht gerechnet. Darüber hinaus war der Schultes-Entwurf nur die leicht überarbeitete Version eines Anfang der 80er Jahre geplanten (und nicht realisierten) echten Rathausanbaus (Siehe dazu meine „Rede Rathauszentrum 19.5.96“: unten).
Mit falschen Karten hat die die damalige Verwaltung und Stadtspitze gespielt, weil sie glaubte, die Bürgerinnen und Bürger mit Namens- und Rechnungstricks hinters Licht führen zu können – übrigens nichts Außergewöhnliches. Das ist ihr glücklicherweise auf Grund ihrer krachenden Niederlage beim Bürgerentscheid nicht gelungen (Beteiligung 40,4% der Wahlberechtigten, Ablehnung des Projekts von 77,05% der Abstimmenden). Zu weiteren Aspekten siehe mein Brief an Prof. Schoppmeyer als Reaktion auf seine Darstellung in seinem Buch „Witten – Geschichte von Dorf, Stadt und Vororten“/Zweiter Band/Witten 2012:
Auszug aus einem Brief an Prof. Schoppmeyer
2. Sie schreiben auf S. 363: „Das war bei dem Bürgerentscheid über den sog. Rathausanbau 1997 nicht anders, der von Anfang an eine Kooperation ausschloss und auf einen Konflikt zusteuerte.“ Diese Einschätzung erweckt den falschen Eindruck, dass im Vorfeld des Bürgerbegehrens/Bürgerentscheids keine Kooperation möglich gewesen wäre.
Falsch deshalb, weil vor der Vorbereitung und Einleitung eines Bürgerbegehrens ab Frühsommer 1996 (ich habe auf einer Ratssitzung – im Mai 1996: s.o. – als Fraktionsvorsitzender der grünen Fraktion ein Bürgerbegehren angekündigt*; der Ratsbeschluss im Dezember 1996 setzte dann erst ein kassatorisches Begehren in Gang) ein ganzes Jahr eine eine Machbarkeitsstudie begleitende Arbeitsgruppe der Fraktionen mit paritätischer Beteiligung der Fraktionen (SPD, CDU, Grüne) getagt hatte, an der u.a. ich teil genommen habe. Meine Linie war zu diesem Zeitpunkt nicht die grundsätzliche Ablehnung eine Randbebauung des Rathausplatzes, sondern die Öffnung zu Alternativen zum von der Verwaltungs- (Stadtbaurat, Planungsamtsleiter) und SPD-Spitze (vor allem Lohmann: „Der berühmte Architekt aus Berlin!“) dogmatisierten Schultes-Entwurf (der ja nur die leicht überarbeitete Version des Entwurfs eines „echten“ Rathausanbaus – reine Verwaltung – von Beginn der 80er Jahre war). Wie das – auch unter Beteiligung von Wittener Architekten – hätte laufen können, zeigt das aktuelle Verfahren zur Nutzung des Kornmarkts.
Die Machbarkeitsstudie – (Ergänzung 9.2.16: die mir noch vorliegt) – hatte folgendes Ergebnis: Das „Wohn-,Büro- und Geschäftshaus“ hätte sich nur realisieren lassen, wenn die Verwaltung die Büros genutzt und eine garantierte überhöhte Miete gezahlt hätte. Selbst die an der Arbeitsgruppe beteiligte SPD-Fraktionsmitglieder waren am Ende gegen das Projekt, sind dann aber von Lohmann „zusammen geschissen“ und auf Linie (d.h. keine Berücksichtigung von Alternativentwürfen, Fixierung auf den Schultes-Entwurf) gebracht worden. Mir ist dann der Kragen geplatzt (Ankündigung und Einleitung des Bürgerbegehrens: s.o. und Folgendes).
Da ich Vertretungsberechtigter und aktiver Beteiligter des Bürgerbegehrens war, kann ich auch Ihre Einschätzung nicht teilen, dass Wirtschaftlichkeitsargumente bei der Auseinandersetzung im Vordergrund gestanden hätten. Die haben sicherlich eine Rolle gespielt (s.o. Machbarkeitsstudie), aber mit Wirtschaftlichkeitsargumenten gewinnt man keinen Bürgerentscheid. Entscheidend waren aus meiner Sicht: 1. Das Projekt war wirklich nur eine „getarnte“ Rathauserweiterung. 2. Der Klotz des Schultes-Entwurfs war schon visuell abschreckend. Und 3. Die Arroganz der Macht war offensichtlich.
Die von Ihnen angesprochenen das Bürgerbegehren unterstützende „Häuschen“ auf dem Rathausplatz war übrigens kein Informationsstand der CDU, sondern ist von der das Bürgerbegehren tragenden und bei ihren Treffen gut besuchten Bürgerinitiative gegen den Rathausanbau angemeldet und betrieben worden (auch die SPD hatte ja eine Art Gegenkoalition geschmiedet – mit einem wenig besuchten „Häuschen“ in geringer Entfernung). Wenn ich in dem „Häuschen“ gestanden habe – und ich habe häufig -, habe ich nicht an einem Info-Stand der CDU gestanden. Die intern festgelegt Regel war (übrigens in der Regel praktiziert bei Bürgerbegehren): „Die parteiunabhängige Träger-BI trägt das Verfahren, Parteien unterstützen“.
Soweit nach flüchtigen Überlesen. Das von mir Vorgetragene ist gut dokumentiert. Sollte mir Weiteres auffallen, werde ich mich melden.
Mit besten Grüßen
Klaus Riepe
lebender Zeitzeuge
11.1.13
*Klaus Riepe Rede Rathauszentrum 19.5.96 Klaus Riepe Rede Rathauszentrum 19.5.96
Siehe zum Thema auch meine Beiträge „Wie war es wirklich? …„/8.5.13 und „Rückblick: 1997 durch Bürgerentschied gescheiterter Rathausanbau …/28.10.13