Hau weg den Scheiß III: Statt Satzungen Vertrauen in die Bürger?

Aktualisierung 11.1.17: Ich hoffe nicht, dass die bornierte Argumentation, mit der ich mich im unten stehenden Beitrag auseinandergesetzt habe, im Zusammenhang der Diskussion um die Baumschutzsatzung eine Rolle spielen wird. Ja wenn alle Bürger vernünftige Engel wären, dann brauchten wir keine rechtlichen Sanktionen und Regelungen, um Bürger und die Allgemeinheit vor durch andere Bürger verursachten Schäden zu schützen! Zweck von Satzungen ist doch unter anderem genau dieser Schutz, und die ersatzlose Beseitigung von Bäumen ist ein Schaden für die Allgemeinheit – dass sollte angesichts des Klimawandels langsam angekommen sein.

Eine konsequente Baumschutzsatzung ist kein grüner Sparren mehr, sondern eine notwendige und wirksame Maßnahme gegen durch den Klimawandel verursachte potentielle Schäden (z.B. auch defensive Kosten für die Allgemeiheit durch die Nachrüstung von Abwasserkanälen) – es sei denn, mensch steht auf der Basis der AfD-Programms, heißt Trump und leugnet den menschenverursachten Klimawandel!

Am 14.3.15 erhielt ich folgendes Anschreiben eines Wittener Bürgers zum Thema Baumschutzsatzung in Witten:

→ Anschreiben eines Bürgers (Anmerkungen in Rot von mir): Anschreiben eines Bürgers zum Thema Baumschutzsatzung 14.3.15

Hier mein grundsätzlicher Kommentar:

Bürger xxx lehnt eine Satzung ab und schlägt statt dessen vor, auf das Vertrauen zu den Bürgern zu setzen. Super Vorschlag! Ich würde das weiter treiben: Schaffen wir Tempo 30 ab, weil wir der Vernunft der Bürgerinnen und Bürger vertrauen – freies Rasen für freie Bürger. Weiter: Schaffen wir die Abfallsatzung ab, weil wir der Vernunft der Bürgerinnen und Bürger vertrauen – freie Vermüllung der Umwelt für freie Bürger. In beiden Fällen (und weiteren) könnten Kosten bei der Kontrolle und Ahndung von Verkehrsdelikten und Verstößen gegen die Abfallsatzung eingespart werden, wenn – ja wenn das Wörtchen wenn nicht wär und alle Bürgerinnen sich immer regel- und gemeinwohlkonform unter Vermeidung des Schadens für andere verhalten würden. Tun sie aber leider nicht immer.

Sanktionsbewehrte rechtliche Regeln wie (kommunale) Satzungen berücksichtigen dies glücklicherweise und schützen die Bürgerinnen und Bürger vor möglichem Schaden durch willkürliche Aktionen oder Dusseligkeit – Dummheit schützt bekanntlich vor Strafe nicht!. Eine Satzung zielt also nicht auf die im Sinne des Gemeinwohls sowieso vernünftigen, sondern auf die potentiell unvernünftigen Bürgerinnen und Bürger. Bei Tempo 30 werden Raser sanktioniert, die andere Verkehrsteilnehmer und sich selbst gefährden – ganz unabhängig davon, ob jeder erwischt wird, bei Verstößen gegen die Abfallsatzung werden Menschen sanktioniert, die rücksichtslos ihren Müll entsorgen – ganz unabhängig davon, ob jeder Verursacher einer illegalen Entsorgung entdeckt wird, und beim Baumschutz werden Baumfäller sanktioniert, die aus kurzsichtigem Eigeninteresse z.B. eine Klimaverschlechterung unserer Stadt verursachen – ganz unabhängig von der Frage, ob illegale Baumfällungen vollständig kontrolliert und in jedem Fall sanktioniert werden können.

Die Frage ist natürlich, wie hoch mensch ein öffentliches Gut wie Klimaschutz, gesunde Luft und damit verbunden Bäume einschätzt. Ich meinerseits schätze es hoch ein und fühle mich durch willkürliche und nicht regelkonforme Baumfällungen – ob im öffentlichen oder privaten Bereich – geschädigt. Im Wahlprogramm des bürgerforums zur Kommunalwahl 2014 heißt es:

Für eine gesunde Umwelt

Witten braucht eine gesunde Umwelt. Auch in unserer Stadt ist durch falsche Entscheidungen zur Klimaverschlechterung beigetragen worden. Durch Flächenfraß, überflüssigen Landschaftsverbrauch, vermeidbare Luftbelastung, Vernachlässigung der Stadthygiene ist die Umwelt geschädigt worden. Durchgreifende Maßnahmen zum Schutz von Flora und Fauna sind bislang unterblieben oder nur unzureichend durchgeführt worden.
Andererseits hat unsere Stadt das Potential, durch systematische Pflege und Ausbau der Umweltqualität und eine entsprechende Schwerpunktsetzung bei der Stadtentwicklung den Bürgerinnen und Bürgern eine gesunde Umwelt zu bieten. Witten hat durch seine Lage am südlichen Rand des Ruhrgebiets den großen Vorteil, eine grüne Ruhrgebietsstadt zu sein. Dieser Vorteil darf nicht leichtfertig zerstört werden.

Deshalb werden wir:
 alle kommunalen Initiativen zum Klimaschutz unterstützen;
 uns für den Erhalt und den Schutz der heimischen Tier- und Pflanzenwelt einsetzen; die Bürgerinnen und Bürger werden wir bei ihren Initiativen nachdrücklich unterstützen;
 nach Möglichkeit den umweltschädlichen Flächenfraß und Landschaftsverbrauch stoppen; Versuche, schützende Landesplanungen aus stadtegoistischen Gründen „anzuknabbern“, müssen aufgegeben werden;
 in der Stadtentwicklung eine Umorientierung auf die Bestandspflege befürworten;
 uns für Erhalt, Aufwertung, Ausbau und Vernetzung von Parks und Grünzügen stark machen: Mehr Grün in die Stadt!
 uns für die Qualitätsverbesserung des ÖPNV (Öffentlichen-Personen-Nahverkehrs) auch unter Umweltschutzgesichtspunkten einsetzen.“

Baumschutz fällt zumindest, neben anderen positiven Aspekten, unter „Klimaschutz“ und „Stadthygiene“.

Übrigens kommt unserem satzungsfeindlichen Bürger xxx politisch in Witten am ehesten die Wittener FDP entgegen, die in ihrem Wahlprogramm zur Kommunalwahl 2014 schreibt:
Mein Witten kennt keine Bevormundung!
Das liberale Witten, das wir wollen, setzt auf die Eigenverantwortung seiner Bürger. Eine Bevormundung der Bürgerinnen und Bürger – wie durch das überzogene Rauchverbot von SPD
und Grünen– lehnen wir entschieden ab. Auch Unsere Stadt muss sich beim Erlassen von Satzungen und Vorschriften zurückhalten und nur dort eingreifen, wo es wirklich geboten ist. Wenn sich städtische Vorgaben als überzogen oder nicht praxistauglich erweisen, dann müssen diese wieder abgeschafft werden.“
Dummerweise hat die Wittener FDP auch mit dieser Position ein niederschmetterndes Wahlergebnis eingefahren. Siehe dazu meine Beiträge „Wahlergebnisse Kommunalwahl 2014 vorläufige Einschätzung“ und „Verfälschung des Wählerwillens?“.Soviel zu „Wählerfrust durch Bevormundung“ und „Nichtwählerpartei“. Die Bürger scheinen satzungs- und regelungsfreundlicher zu sein, als mancher glaubt, und die politische Realität ist offensichtlich anders, als sich mancher in seinem Kämmerlein zusammen strickt.

Siehe zu diesem Themenkomlex auch meine Beiträge „Ins Stammbuch II – Anforderungen an Ratsmitgliedschaft“ und „Transparenz? Aber nicht mit geschlossenen Augen!