Die Kuh ist endlich vom Eis!
Nun ist die Kuh endlich vom Eis. Der Rat hat mit großer Mehrheit – mit meiner Stimme, bei 19 Gegenstimmen – den Antrag von SPD/CDU zur Bereinigung der Wickmann-Auseindersetzung verabschiedet.
→ Antrag SPD/CDU letzte Fassung Antrag SPD CDU Wickmanngelände letzte Fassung
Was beinhaltet der Antrag?
– Der gegenwärtig noch geltende, eigentlich obsolete B-Plan 216 wird förmlich abgewickelt. Hintergrund der Antragsteller: Um zweierlei Recht auf dem Wickmann-Gelände zu verhindern, bleibt der B-Plan 216 bis zu seiner förmlichen Abwicklung in Kraft. Würde die Berufung unmittelbar zurück gezogen, würde §34 Baugesetzbuch greifen und dem Klagegegner Schöpke müsste unmittelbar sein Antrag bewilligt werden. Andere potentielle Investoren wären aber nach wie vor an den B-Plan 216 gebunden.
– Die Berufung wird nach Abwicklung des B-Plans nicht weiter verfolgt.
– Darüber hinaus zielen die Punkte 1. und 4. auf die zukünftige Nutzung des Wickmann-Geländes.
So weit, so gut für Annen und Witten, könnte mensch meinen. Aus Sicht der Antragsgegner aber weit gefehlt.
Bevor ich auf deren Argumente eingehe, hier die Lösung des Rätsels, warum des OVG die Berufung so schnell zugelassen hat – die Lösung wirft wiederum ein bezeichnendes Licht auf die Kompetenz der Wittener planenden Verwaltung:
→ Beschluss des OVG NRW Beschluss OVG NRW
Die schnelle Zulassung der Berufung hing damit zusammen, dass das VG Arnsberg davon ausgegangen ist, der B-Plan 216 sei wegen eines Bearbeitungsmangels nichtig und damit der alte B-Plan 63 gültig. Die Dokumente haben aber deutlich gemacht, dass der B-Plan 63 den gleichen Bearbeitungsmangel aufweist. Nur auf diesen formalen Fehler des VG Arnsberg (das sozusagen den Sumpf der Wittener Bauleitplanung nicht hinreichend tief ausgelotet hat) bezog sich die Feststellung des OVG, das Urteil sei falsch, und nicht auf die aus meiner Sicht viel wichtigere materielle Begründung (Stichwort: Zentrumsabgrenzung).
Jetzt zu den Argumenten der Antragsgegner:
Argument 1 „Schutz der City“: Ein wiederholtes und mittlerweile ziemlich abgedroschenes Argument ist der Schutz der City.Von diesem Schutz ist leider von einigen politischen Formationen und von der Verwaltung immer nur dann die Rede, wenn bestimmte Ansiedlungsbegehren nicht passen.
Tatsächlich haben Politik und Verwaltung in der Vergangenheit selbst einiges dazu beigetragen, die City nicht zu schützen und den gegenwärtigen, nach wie vor kritischen Zustand der Innenstadt herbei zu führen.
Es sei beispielhaft erinnert an die Ansiedlung von Kaufland an der Breite Straße (der Absturz der Unteren Bahnhofstraße war damit programmiert), aber auch an die Verlagerung der Zentralstelle der Stadtbücherei zur Husemannstraße und die damit verbundene Schwächung des City-Endes an der mittleren Ruhrstraße durch Wegfall eines Frequenzbringers.
Was aus der – eigentlich für die Stadtentwicklung verspäteten, weil durch die Stadtgalerie mittlerweile negativ beeinflussten – Entwicklung und Bebauung des Kornmarkts wird, bleibt abzuwarten. Das Novum steht leer, weitere Leerstände häufen sich, etc. etc..
Siehe zur Entwicklung der City meine Beiträge „Defensivaktionen helfen wenig gegen selbst verursachtes Trading Down*“/08.05.13 und „Passantenzählung – ein neues Wundermittel?“/20.06.13
Kurz: Nicht Berlet oder andere Ansiedlungen auf dem Wickmann-Gelände in ähnlicher Größenordnung gefährden aus meiner Sicht die City. Zu deren kritischen Zustand haben vielmehr massive Planungsfehler in der Vergangenheit geführt, die sich nur schwer – wenn überhaupt – heilen lassen. Das Wickmann-Gelände in Annen dürfte in diesem Zusammenhang eine zu vernachlässigende Rolle spielen. Im Übrigen sollte der Schutz der City nicht mit Konkurrenzschutz für Einzelunternehmen – im vorliegenden Fall SATURN – verwechselt werden.
Argument 2 „Heilung eines Planungsfehlers“: Ein weiteres Argument war die mögliche Heilung eines unstrittigen Planungsfehlers durch nachträgliche und rückwirkende Korrektur. Gemeint ist der oben genannte formale Fehler.
Nun ist Heilung ein geeignetes Mittel, um alte B-Pläne, die nach neuer Gesetzeslage und Rechtsprechung überarbeitungsbedürftig sind, an die neue Lage anzupassen.
Weniger geeignet und in hohem Maße unfair wäre es aus meiner Sicht, bei einer aktuellen gerichtlichen Auseinandersetzung, bei der ein gravierender Planungsfehler zugunsten des Klagenden gerichtlich festgestellt worden ist, dieses Mittel einzusetzen, um den beklagten Zustand per nachträglicher formaler Korrektur wieder herzustellen, ohne an der inkriminierten Substanz der Planung etwas zu ändern. Dem Kläger eine lange Nase?
Darüber hinaus wäre im Fall „Wickmann-Gelände“ die „Heilung“ auch deshalb problematisch, weil sie die Planung nur formal korrigieren würde, der andere materielle Fehler der Planung, die falsche Zentrumsabgrenzung, aber aufrecht erhalten würde und damit wieder per Klage angreifbar wäre.
Argument 3 „Wir haben Zeit“: Vorgetragen wurde, dass „wir“ Zeit hätten und „uns“ nicht in Panik versetzten sollten.
Abgesehen davon, dass das Argument in der Sache nicht stimmt – ein Berufungsverfahren unterliegt Fristen -, frage ich mich, wer diese Zeit hat? Wer ist „wir“?
Dass Politik und Verwaltung Zeit haben, weil sie in der Sache nicht unmittelbar betroffen sind und lang dauernde Klageverfahren mit dem Geld des Steuerzahlers finanzieren können, mag sein. Weniger Zeit haben Projektentwickler und Investoren, die mit eigenem oder geliehenem Geld arbeiten müssen, und weniger Zeit hat eine Stadt, die dringend auf Investitionen speziell im ökologisch unschädlichen Innenbereich angewiesen ist.
Politik und Verwaltung haben viel Zeit, Entwicklungen zu blockieren. Mögliche unerwünschte Folge der Blockade: Die Entwicklung bleibt aus.
Peinlich wird das Zeitargument aber vor allem, weil Blockade oder Nichtblockade in Witten – leider – meist willkürlich verlaufen sind und verlaufen: je nach Macht des Investors und politischem Einfluss. Denn dem Schutz der City haben in der Vergangenheit die Ansiedlung von Kaufland, dem Schutz des Annener Zentrums die Ansiedlung von REAL mit Sicherheit nicht gedient.
Also: Wenn’s nicht passt: Zeit, wenn’s passt: Eile? Das scheint mir nachgerade auf eine sehr persönliche Auseinandersetzung hinaus zu laufen nach dem Motto: Wollen doch mal sehen, wer den längeren Atem hat. Mein Stil ist das nicht, und der Stil von Verwaltung und Politik sollte das auch nicht sein.
Argument 4 „Mögliche Bestechlichkeit“: Den Vogel abgeschossen hat aber die Fraktionsvorsitzende der Wittener Grünen Frau Legel-Wood, die in etwas verklausulierter Form den Befürwortern des Antrags meinte per Frage unterstellen zu müssen, sie seien möglicherweise bestechlich. Als ob es nach Jahr und Tag und nach einem in der materiellen Begründung durchaus nachvollziehbaren Urteil des VG Arnsberg nicht gute Argumente für den jetzt erfolgreichen Antrag geben würde. Ich verweise allein auf meine Beiträge „Berufung Berlet-Urteil …“/03.02.15, „Berufung in der Angelegeneheit Berlet/Annen …!“/18.02.15 und „Berlet/Annen: Verwaltung wird zurück gepfiffen …“/16.03.15.
Die Frau scheint Erfahrung zu haben. Ich muss an dieser Stelle offen zugeben, das ich mir die gleiche Frage im Zusammenhang des fanatischen Einsatzes der Wittener Grünen für die Ansiedlung von erst Lidl, dann EDEKA im Herbeder Gerberviertel, weiter für das Baugebiet Kleff in Heven auch schon gestellt habe. Allerdings hätten die Geldempfänger dann andere Namen getragen.