Kein Lichtblick? Thesen zur politischen Situation in Witten:

Die Kommunalwahlen 2014 in Witten haben unmittelbar ein klares Ergebnis gezeigt:

– Die Wahlbeteiligung ist noch einmal zurück gegangen.

– Alle Parteien und Wählergemeinschaften der zurückliegenden Wahlperiode mit Ausnahme von SPD und bürgerforum haben verloren.

– Eigentlich haben auch die neu angetretenen Parteien und Wählergemeinschaften verloren, denn ohne Überhangmandate wären sie auf Grund ihrer geringen Wählerbasis nur mit jeweils 1 Mitglied im neuen Rat vertreten gewesen. Das wirft ein bezeichnendes Licht auf die demokratische Legitimität dieser Formationen.

Hauptwahlverlierer war die größte Oppositionspartei in Witten – die CDU.

Das Ergebnis ist paradox:

– Auf Grund des guten Abschneidens der SPD (alle Direktmandate) ergeben sich eine Vielzahl von Überhangmandaten. Der Rat der Stadt Witten schwillt von geplanten 52 auf 72 Mitglieder an (zurückliegende Wahlperiode 52 Mitglieder), weil z.B. 4 kleine Formationen ein zusätzliches Ratsmitglied bekommen und damit den Status einer Minifraktion – 1 Fraktionsvorsitzender und ein zusätzliches Ratsmitglied – erhalten.

– Weiteres paradoxes Ergebnis: Der Wahlverlierer CDU geht mit der SPD eine große Koalition (GroKo) ein. Im Gegensatz zur kleinen Koalition der vergangenen Wahlperiode (SPD+Grüne+WBG) ist damit die Stimmenübermacht dieser Koalition garantiert.

Bewertung:

– Große Koalition:

*Auf der einen Seite wird eine mögliche Opposition aus den verbindlichen Entscheidungen nachhaltig ausgegrenzt – damit auch deren Wähler und Programmprofil (unterstellt, dass dieses handlungsleitend gedacht war). Das gilt vor allem für die größeren Formationen innerhalb der „neuen Opposition“: Grüne und bürgerforum.

*Auf der anderen Seite hätten sowohl eine Politik der wechselnden Mehrheiten wie auch eine kleine Koalition (abgesehen von den Folgen für die beteiligte Partner) angesichts der Unübersichtlichkeit und Heterogenität im Formationsgewimmel des neuen Rats bei jeder potentiell kontroversen Entscheidung zu einem nicht kalkulierbaren Risiko geführt (insbesondere wegen der politischen Inkompetenz eines großen Teils der Oppositionsmitglieder).

– Zwischenfazit:

Angesichts der Gefahr einer permanenten politischen Instabilität ist die große Koalition sicher ein Vorteil, angesichts der Ausgrenzung oppositioneller Programm- und Handlungsressourcen ein Nachteil.

Für die Zukunft heißt das:

– Große Koalition:

Trotz stabiler Mehrheit sind durch diese Mehrheit die objektiven Strukturprobleme dieser Stadt nicht gelöst. Durch die Mehrheitsbildung hat die GroKo eine enorme politische Verantwortung übernommen. Ob sie sich dieser Verantwortung (nämlich tragfähige und nachhaltige Lösungen zu finden) gewachsen zeigen wird, bleibt abzuwarten. Die Vergangenheit lässt nichts Gutes hoffen. Allerdings sind stabile Mehrheiten auch ein gutes Ruhekissen für Nicht-Lösungen – der aktuelle Rat wird immerhin 6 Jahre im Amt sein.

– Opposition:

*Um so wichtiger wäre eine kompetente und problemorientiert-konstruktive Opposition.
Nur lässt deren Verfasstheit nichts Gutes ahnen:

*Auf die Unübersichtlichkeit und politische Heterogenität ist schon hingewiesen worden.

*Zudem sind Formationen in die Opposition gerutscht, die in der zurück liegenden Wahlperiode noch Teil der Mehrheitskoalition waren und sich in dieser Funktion weder politisch besonders profiliert noch mit Ruhm bekleckert haben (Grüne und WBG: weitgehend akzeptiertes Schattendasein in Bezug auf die SPD). Es ist nicht zu erwarten, dass sich die habitualisierte Bequemlichkeit des Mitschwimmens ändern wird.

*Ob sich vor diesem Hintergrund eine problemorientiert-konstruktive Oppositionspolitik entwickeln kann, ist zu bezweifeln. „Worst case“ – und nicht unwahrscheinlich – ist eine Versumpfung der Oppositionsformationen, die sich dann in ihrer Minipfründe einrichten („Kenntnisfrei, ich bin dabei“) und Außenorientierung (Orientierung an den Sachproblemen der Stadt) durch Binnenorientierung (mehr oder weniger friedliche Beschäftigung mit sich selbst) ersetzen.

Wie weiter?

Insgesamt provoziert das Ergebnis der Wahlen nicht gerade Begeisterung.

*Von der Opposition als einheitlicher Kraft (s.o.) ist wenig zu erwarten.

*Bleibt zu hoffen, dass die GroKo sich einigermaßen vernünftig positionieren und Sachargumenten auch dann zugänglich sein wird, wenn diese nicht aus den eigenen Reihen vorgetragen werden.

Last but not least: Ein zentraler Baustein im Machtgefüge der Stadt ist noch offen. Die Wahlen der Bürgermeisterin/des Bürgermeisters werden erst im September nächsten Jahres stattfinden. Auf Grund der starken Stellung der Bürgermeisterin/des Bürgermeisters (Direktwahl und Verwaltungschefin/Verwaltungschef) kann diese/dieser ein Korrektiv/Gegengewicht zum Rat darstellen. Die Bürger werden die Wahl haben, entweder eine Person zu wählen, die diese Rolle ausfüllen kann (falls eine entsprechende Kandidatin, ein entsprechender Kandidat überhaupt antreten wird), oder das Übergewicht der GroKo noch einmal zu festigen.