Menschliche Arbeit die Quelle allen Reichtums?
Vor kurzem erzählte mir ein Bekannter, dass sich seine Tochter bei der Wittener SDAJ (Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend) engagiere. Mich interessierte das, weil ich in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts in der DKP (Deutsche Kommunistische Partei – die SDAJ war die Jugendorganisation der DKP) aktiv war, 1978 wegen der Biermann-Affäre ausgetreten bin (siehe mein Beitrag „DKP: Für mich Ende der Fahnenstange 1978„/4.1.13) und mich immer gewundert habe, wie es andere bis 1989 (Wende und Ausbleiben der Geldtransfers aus der DDR, weitgehender Zusammenbruch der DKP) ausgehalten haben. Aber heute – nach allem, was mittlerweile über die DDR und zum Beispiel das Stasi-Wüten eines Mielke bekannt ist? Was kann da die SDAJ zu bieten haben?
Ich sehe mir also die Website der SDAJ an und stoße unter „Theorie“ auf folgendees Zitat:
„Engels nennt die menschliche Arbeit die Quelle allen Reichtums und die erste Grundbedingung allen menschlichen Lebens.“
Ich stutze. Sollte Engels das wirklich so geschrieben haben? Gab es da nicht eine „Kritik des Gothaer Programms“ von Karl Marx, in der es um die Rolle der Natur neben der Arbeit ging?
Und wirklich: Wer den Link anklickt, stößt auf des vollständige Engels-Zitat, das sich dann doch ganz anders als das SDAJ-Zitat liest:
„Friedrich Engels – Dialektik der Natur/Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen:
|444| Die Arbeit ist die Quelle alles Reichtums, sagen die politischen Ökonomen. Sie ist dies – neben der Natur, die ihr den Stoff liefert, den sie in Reichtum verwandelt. Aber sie ist noch unendlich mehr als dies. Sie ist die erste Grundbedingung alles menschlichen Lebens, und zwar in einem solchen Grade, daß wir in gewissem Sinn sagen müssen: Sie hat den Menschen selbst geschaffen.“
Denn es sind bei Engels die „politischen Ökonomen“, die sagen, dass die Arbeit die Quelle alles Reichtums sei (und mit politischen Ökonomen sind die bürgerlichen Ökonomen gemeint), während Engels darüber hinaus richtigerweise auf die entscheidende Rolle der Natur verweist*.
Er praraphrasiert damit aber nur die Eingangsformlierungen der „Kritik des Gothaer Programms“ von Karl Marx, die um einiges präziser sind als die Engelssche Paraphrase:
„Randglossen zum Programm der deutschen Arbeiterpartei:
I|15| 1. „Die Arbeit ist die Quelle alles Reichtums und aller Kultur, und da nutzbringende Arbeit nur in der Gesellschaft und durch die Gesellschaft möglich ist, gehört der Ertrag der Arbeit unverkürzt, nach gleichem Rechte, allen Gesellschaftsgliedern.“
Erster Teil des Paragraphen: „Die Arbeit ist die Quelle alles Reichtums und aller Kultur.“
Die Arbeit ist nicht die Quelle alles Reichtums. Die Natur ist ebensosehr die Quelle der Gebrauchswerte (und aus solchen besteht doch wohl der sachliche Reichtum!) als die Arbeit, die selbst nur die Äußerung einer Naturkraft ist, der menschlichen Arbeitskraft. Jene Phrase findet sich in allen Kinderfibeln und ist insofern richtig, als unterstellt wird, daß die Arbeit mit den dazugehörigen Gegenständen und Mitteln vorgeht. Ein sozialistisches Programm darf aber solchen bürgerlichen Redensarten nicht erlauben, die Bedingungen zu verschweigen, die ihnen allein einen Sinn geben. Nur soweit der Mensch sich von vornherein als Eigentümer zur Natur, der ersten Quelle aller Arbeitsmittel und -gegenstände, verhält, sie als ihm gehörig behandelt, wird seine Arbeit Quelle von Gebrauchswerten, also auch von Reichtum. Die Bürger haben sehr gute Gründe, der Arbeit übernatürliche Schöpfungskraft anzudichten; denn grade aus der Naturbedingtheit der Arbeit folgt, daß der Mensch, der kein andres Eigentum besitzt als seine Arbeitskraft, in allen Gesellschafts- und Kulturzuständen der Sklave der andern Menschen sein muß, die sich zu Eigentümern der gegenständlichen Arbeitsbedingungen gemacht haben. Er kann nur mit ihrer Erlaubnis arbeiten, also nur mit ihrer Erlaubnis leben.“
Eben: „Die Bürger haben gute Gründe, der Arbeit übernatürliche Schöpfungskraft anzudichten; ….“
Welche guten Gründe die SDAJ hat, darüber kann spekuliert werden. Ob das mit dem vormaligen rücksichtslosen Verhältnis zur Natur in der DDR zusammenhängt (Horkheimer: Kapitalismus eine gigantische Aktiengesellschaft zur Ausbeutung der Natur – Einholen und Überholen im „realen“ Sozialismus – Vorbild: Weltniveau – wieder massive Ausbeutung der Natur)?**
Die Formulierung „Die Arbeit ist die Quelle allen Reichtums“ stammt übrigens von John Locke, dem philosophischen Stammvater des bürgerlichen Liberalismus.
Herzlichen Glückwunsch, SDAJ! Die Jugendorganisation der DKP ist mit dem Aufgreifen dieser Formulierung programmatisch wohl nicht beim Neoliberalismus, dafür aber beim klassichen Liberalismus angekommen.
*Über Engels und Marx hinaus (die lokale/regionale/globale Belastung der Natur war zu Marx‘ und Engels‘ Zeiten sehr viel geringer als heute) sollte mittlerweile klar geworden sein, dass die Natur nicht nur auf „Stoff“ (Engels) oder die „Quelle von Gebrauchswerten“ (Marx) reduziert werden kann. Als Rahmen und Grundlage allen menschlichen Lebens hat der Raubbau an ihr regelmäßig zum Kollaps von Gesellschaften geführt (dazu instruktiv: Jared Diamond: Kollaps/Warum Gesellschaften überleben und untergehen; Frankfurt am Main 2005).
**Ergänzung 1.3.18: Wohin das in der DDR geführt hat, macht z.B. der sog. Silbersee in der Wittener Partnerstadt Wolfen deutlich. Siehe dazu der mdr-Beitrag: Silbersee.