Sozialwohnungen – eine Lösung für die Aufhebung des zu erwartenden Mangels an bezahlbarem Wohnraum für ärmere MieterInnen*?
Am 18.12.2017 schreibt der Wittener MieterInnenverein in der Begründung zu einer Anregung an den Rat der Stadt Witten (die Anregung lag dem HFA am 29.1.18 vor):
„Die Zahl der Sozialwohnungen ist durch Auslaufen der öffentlichen Bindungen seit 2006 um 41% gesunken. Im Jahr 2030 werden nach aktuellen Schätzungen nur noch 980 Wohnungen öffentlich gebunden sein. Zugleich ist davon auszugehen, dass ca. 40% aller Wittener Haushalte ein Einkommen bis 2000 € haben. 6.800 Haushalte (13,5%) sind auf Leistungen nach SGB II, SGB XII oder Asylbewerberleistungsgesetz (750 Haushalte) angewiesen. Es muss erwartet werden, dass in den nächsten Jahren und Jahrzehnten vor allem die Zahl der Haushalte mit ergänzender Grundsicherung im Alter stark zunimmt. Vor diesem Hintergrund ist der Erhalt preisgünstiger Mietwohnungen besonders dringlich, und Verluste müssen standortnah ausgeglichen werden.“
Wenn der MieterInnenverein unter preisgünstigen Mietwohnungen Sozialwohnungen versteht, und darauf deutet der Hinweis auf das Auslaufen der öffentlichen Bindungen hin: Was ist davon zu halten?
Sozialwohnungen sind staatlich gefördert – im Grunde eine Form von Private-Public-Partnership.
Sie unterliegen einer Bindungsfrist. Das heißt: Wenn die Bindungsfrist abgelaufen ist (nach 20 oder 15 Jahren bei vorzeitiger Rückzahlung der Darlehen), können die Mieten um 20%, bei Bestehen einer Kappungsgrenze um 15% erhöht werden. In Witten gibt es übrigens keine Kappungsgrenze.
→ Sozialwohnungen: Sozialwohnungen Mieterhöhung wegen Bindungsauslauf
→ NRW Kappungsgrenze: Gesetze und Verordnungen Landesrecht NRW
Nach Ablaufen der Bindungsfrist können die MieterInnen also zur Kasse gebeten werden: Die Mieten steigen und können unter Umständen von ärmeren MieterInnen nicht mehr bezahlt werden. Ein neuer Bedarf ist vorprogrammiert.
→ Kritik am Modell „Sozialwohnungen“ aus Dresden: Es entstehen Sozialwohnungen, die sich keiner leisten kann MDR.DE
Die Folgen des Modells „Sozialwohnung“ ist also ein automatisch erneut auftretender Mangel an Sozialwohnungen nach Ablauf der Fristen.
In Witten scheint gegenwärtig (nach Beruhigung des Flüchtlings- und Migrantenzuzugs) keine Mangel an preiswerten Wohnungen für ärmere MieterInnen zu bestehen.
→ WAZ: Sozialwohnungen sind in Witten knapp
Das dürfte sich in Zukunft ändern (Stichwort: z.B. wachsende Altersarmut).
Ob allerdings der Neubau von Sozialwohnungen bei den gegenwärtig geltenden Regelungen der geeignete Weg zur nachhaltigen Behebung des wahrscheinlich auftretenden Mangels ist, bezweifle ich.
Um diesen Mangel im Rahmen des Modells „Sozialwohnung“ zu beseitigen, wären kompensierender Neubau (Zubau) und eine entsprechende Flächenvernutzung nötig. Und das im Rhythmus: Wegfall der Bindungsfrist/kompensierender Neubau/Wegfall der Bindungsfrist/kompensierender Neubau – potentiell immer weiter!
Zur Verdeutlichung der Dimensionen Zahlen aus dem o.g. WAZ-Artikel:
Die Stadt (Herr Andresen) rechnete 2016, dass die Zahl der Sozialwohnungen seit 1996 (8000) auf 2.700 in 2016 zurückgegangen sei. Hätte dieser Wegfall durch Neubau kompensiert werden sollen, hätten 5.300 Sozialwohnungen im Laufe von 20 Jahren (ca. 265/Jahr) neu gebaut werden müssen. Zum Teil wären aber die Bindungsfristen schon wieder abgelaufen mit der Folge eines notwendigen erneuten Neubaus (Zubaus). D.h. ein entsprechender Neubau (Zubau) müsste weiterhin in erheblichen Größenordnungen erfolgen.
Für Städte wie Witten mit ihrer eh schon dichten Bebauung heißt das, dass auch noch die letzten Freiflächen für den sozialen Wohnungsbau (und für die zukünftige Rendite der Investoren) zugebaut worden wären und die noch verbleibenden Reste zugebaut werden müssten (mit allen Nachteilen für die Attraktivität der Stadt und die Umwelt: Mikroklima).
Deshalb stimmen wohl die Zahlen des MierterInnenvereins bezüglich der bestehenden Armut in Witten und des wachsenden Armutsrisikos, und die Forderung nach Erhalt preisgünstiger Wohnungen ist richtig. Die weitere Forderung nach standortnahem Ausgleich der Verluste an preisgünstigen Mietwohnungen (Sozialwohnungen) ist allerdings wenig durchdacht und dürfte ohne Schaden für die Stadt kaum umsetzbar sein.
Fazit: Das Modell „Sozialwohnung“ ist bei genauerem Hinsehen weder eine nachhaltige Lösung für die Abdeckung des Bedarfs an preisgünstigem Wohnraum für ärmere MieterInnen noch umweltfreundlich, und die Tunnelblickforderung nach Zubau von preisgünstigen Mietwohnungen als Sozialwohnungen scheint nur auf den ersten Blick hilfreich. Das Modell wäre nur sinnvoll, wenn das Spiel mit den Bindungsfristen beendet würde, also eine dauerhafte Kostenmiete für die MieterInnen garantiert wäre.
*Bezeichnung aus einem Papier des MieterInnenvereins aus 2008 entnommen