European Energy Award für Witten: Eine Realsatire?

Am 2.6.21 finde ich in der WAZ-Online einen Artikel „Witten erneut für Bemühungen im Klimaschutz ausgezeichnet“. Vier Verwaltungsmitglieder lachen in die Kamera (Witten erneut für Bemühungen um Klimaschutz ausgezeichnet). Anlass: Witten ist erneut mit dem European Energy Award ausgezeichnet worden. Ein Award ist ein Preis, der von einer Jury vergeben wird. Ich frage mich aber, ob wirklich Anlass zum Lachen besteht und Witten diesen Preis verdient hat. Sehen wir genauer hin.

Worin bestehen die Leistungen, für die die Auszeichnung vergeben worden ist? Ich entnehme dem Artikel folgende Leistungen: Regelmäßig Treffen eines Energieteams, Mobilitätspolitik (konkretisiert durch das Radverkehrskonzept und das Vorhaben Husemannstraße, die Anschaffung von Pedelecs – wie viele?/K.R. – und zwei Elektroautos durch die Verwaltung und eine interaktive Karte für die Ladeinfrastruktur von Ladesäulen.

Was ist davon zu halten? Meine Bewertung: Eigentlich eine Realsatire. Warum? Um darauf eine Antwort zu finden, muss mensch etwas zurück schauen.

Seit dem Jahr 2013 liegt in Witten ein Integriertes Klimaschutzkonzept (IKSK) vor. Der Link zu diesem Konzept und meine Bewertung des Umgangs damit findet sich in meinem Beitrag „Klimanotstand!“/11.6.19.

Am 2.7.19 verabschiedet der Rat einen Antrag „Beitrag der Stadt zur Eindämmung der globalen Klimakrise“. Der Antrag und meine Bewertung findet sich in meinem Beitrag „Klimanotstand!: Die Wende? Hoffentlich!“/8.7.19. Besonders hervorheben möchte ich, dass in dieser Resolution CO2-Reduktionsziele und Fristen für deren Erreichung genannt werden. Heißt übersetzt: Werden diese Ziele nicht erreicht, werden Schäden produziert. Das Bundesverfassungsgericht spricht von Freiheitseinschränkungen durch diese Schäden für zukünftige Generationen.

Dann legt die Verwaltung am 12.2.20 eine Maßnahmeübersicht vor (Mitteilung der Verwaltung: „Sachstand und weiteres Vorgehen“). Was davon zu halten ist, findet sich in meinem Beitrag „Klimanotstand – Der Berg kreißte und gebar – bisher – ein Mäuslein“/12.3.20. Besonders hervorheben möchte ich meine Einlassung zu Punkt 6: „Punkt 6 ‚Benennung von Auswirkungen, Messbarkeit und Messbarmachung‘: Einer der wichtigsten Punkte, weil durch Messung Handlungsnotwendigkeiten verdeutlicht werden können. Ich erinnere an die Fristen (s.o.). Wann ist ein Ergebnis der Arbeiten des RVR an der CO2-Bilanz zu erwarten?“.

Eben: Ziele, Fristen und Handlungsnotwendigkeiten! In dem o.g. beschlossenen (!) Antrag heißt es: Der Rat der Stadt Witten „erkennt die Klimaneutralität bis zum Jahr 2050 mit den Zwischenzielen -40 Prozent Treibhausgasemissionen (gegenüber 1990) bis zum Jahr 2025 und -60 Prozent Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2040 als verbindliche Ziele an“.

Ca. acht Jahre sind schon seit dem Integrierten Klimaschutzkonzept, zwei Jahre seit dem o.g. Antrag und 1 1/2 Jahre seit der Mitteilung der Verwaltung verstrichen. Wir schreiben den Juni 2021. Es bleiben also noch ca. vier Jahre bis zum beschlossenen Zwischenziel von -40 Prozent Treibhausgasemissionen (gegenüber 1990) bis 2025.

Mir scheinen vor diesem Hintergrund die Award-Leistungen der Verwaltung tatsächlich eine traurige Realsatire zu sein: Team-Treffen bedeuten noch kein Prozent weniger CO2, die Mobilitätspolitik und das Radverkehrskonzept kommen kaum voran (und selbst wenn, müsste der Beitrag zur CO2-Reduktion quantifiziert werden)*, und Pedelecs/2 Elektroautos + interaktive Karte halte ich bei dieser Quantität für Pillepop. Da hat ein Mäuslein noch ein kleineres Mäuslein geboren.

Für die Erreichung des beschlossenen Reduktionszwischenziels bis 2025 sehen ich bei diesem Tempo schwarz. Deshalb wäre angesichts der relativ knappen Zeit die rasche Aktualisierung des Klimaschutzkonzepts von 2013 ähnlich dem Maßnahmeprogramm KölnKlimaAkiv 2022**(beschlossen vom Rat der Stadt Köln im Februar 2019) – und dessen zügige Umsetzung! – dringend notwendig, um irreversible Schäden für unsere Stadt und ihre Bürger_innen zu vermeiden.

*Siehe dazu meine Einlassung in dem Beitrag “Ein Berg kreißte …“: „Punkt 3 ‚Nachhaltige Mobilitätsstrategie‘: Wer das Klimaschutzkonzept von 2013 kennt, weiß, dass der Verkehr für die Erreichung der Klimaschutzziele absolut zentral ist. Deshalb sind die Ausführungen zur Elektromobilität und zum Radverkehrskonzept* schlicht lächerlich (Fahrradbügel, Markierungen; auch hier dürfte gelten: Eine Stelle macht noch keinen Klimafrühling). Das Gleiche gilt für das Wortgeklingel zum „integrierten Mobilitäts- und Parkraumkonzept.

Würde hier jetzt schon gemessen, wäre das Ergebnis wahrscheinlich desaströs. Ganz am Rande sei hier nur darauf hingewiesen, dass nicht der Fahrradverkehr als solcher dem Klimaschutz dient, sondern die Nutzung des Fahrrads dann, wenn parallel die CO2-Produktion durch den MIV (motorisierter Individualverkehr) – und natürlich auch den LKW-Verkehr – massiv zurückgeht (das Argument gilt auch für den ÖPNV).“

**Maßnahmeprogramm KölnKlimaAktiv 2022: https://www.stadt-koeln.de/mediaasset/content/pdf57/ko%CC%88lnklimaaktiv_2022_bfrei.pdf