Hohenzollernviertel/Karl-Marx-Platz: Ein heller Moment von Klaus Wiegand
Kleiner Exkurs zum Karl-Marx-Platz und Hohenzollernviertel: 2011 unternahm die Wittener CDU auf Veranlassung einiger junger CDU-Wilder den Vorstoß, den Karl-Marx-Platz in Platz der deutschen Einheit umzubenennen (WAZ vom 31.1.1011: „Karl Marx bleibt in der Stadt“ ). Diesen Vorstoß konterte damals lobenswerterweise und mit Erfolg das SPD-Ratsmitglied Klaus Wiegand. Im Gegensatz zu seiner Baum-ab-Initiative einer seiner hellen Momente. Kleine Ergänzung: Es gab wohl zu Lebzeiten von Karl Marx keine kommunistische Partei, aber bekanntermaßen ein vom ihm und Friedrich Engels verfasstes „Manifest der Kommunistischen Partei“ – in manchen analytischen Passagen immer noch lesenswert*.
Aus SPD Witten/Kommunalpolitik/30.01.2011: Klaus Wiegand im Rat der Stadt Witten
Mit einem Antrag der jungen Wilden der CDU- Ratsfraktion macht sich derzeit die CDU mehr als lächerlich. Sie verbindet den Namen von Karl Marx mit sozialistischen Greueltaten und will den Wittener Platz umbenennen. In einer bermerkenswerten Rede hat Ratsherr Klaus Wiegand die Diskussion versachlicht. Nachfolgend geben wir die Rede wieder.
„Der Name Karl Marx Platz muss bestehen bleiben! Zu diesem CDU- Antrag ist ein kleiner Exkurs in die Geschichte notwendig. Ich glaube nämlich, dass die Verfasser dieses Antrages im Geschichtsunterricht des 19. un20. Jahrhundert wohl nicht so richtig aufgepasst haben.
Der deutsch- jüdische Philosoph Karl Marx ist – historisch gesehen – neben Ferdinand Lassalle einer der geistigen Väter der deutschen Sozialdemokratie – unbestritten! Er musste nach England emigrieren, weil es im 19. Jahrhundert in Preußen keine Meinungsfreiheit gab und er seine ökonomischen Theorien auf deutschem Boden nicht verbreiten durfte. Karl Marx war gleichzeitig Vordenker der sozialistischen Internationalen. Seine tief greifenden Analysen über die unterdrückte und damals ausgebeutete Arbeiterschaft waren bahnbrechend für alle europäischen Sozialdemokratien. Das gleiche galt für die Wege, die er zur Befreiung und Emanzipation der
besitzlosen Arbeiterschaft aufzeigte.
An diesen großen deutschen Vordenker wollen wir auch in Zukunft weiterhin erinnern! Übrigens, zu Karl Marx Lebzeiten gab es keine kommunistische Partei in Deutschland!
Was 40/50 Jahre nach Marx Tod teilweise aus seiner Philosophie im Zusammenhang mit dem Leninismus hergeleitet worden ist, hat die Wittener SPD-Ratsherren 1947 (Alliierte Besatzungszeit ), als sie sich für diesen Platznamen entschieden, nicht interessiert.
Unsere Wittener Ratskollegen haben damals bewusst diesen Namen gewählt als deutliche Abgrenzung gegen die Nazis, denn für die Nazis waren alle Marxisten, ob Sozialdemokraten oder Kommunisten – wie die Juden – die schlimmsten Staatsfeinde. Sie wurden von Hitler gemeinsam in einem Atemzug erwähnt, sie wurden verfolgt und teilweise umgebracht. Dagegen wollte die Mehrheit der damaligen Ratsherren ein Zeichen setzen. Aus Respekt vor den edlen Handlungsmotiven des damaligen Rates und der Geschichte verbietet
es sich, heute den Platznamen auszulöschen.
Mir gefällt ganz und gar nicht der zweite Teil Ihrer Begründung im Antrag! Ich denke, Sie werden der friedlichen Einigung der einzig gelungenen deutschen Revolution nicht gerecht. Wir sind doch alle stolz auf auf die friedliche Einigung von 1989/90. Es war schon fast ein Wunder, dass keine Schüsse gefallen sind. Aber warum bringen Sie den friedlichen Einigungsprozess in Verbindung mit Bismarcks Blut- und Eisen- Politik? Bismarck hat brutale Angriffskriege gegen seine Nachbarstaaten geführt, die zwar zweifellos damals zur Einheit geführt haben, aber darauf können wir doch heute nicht stolz sein! Der Wilhelminische Staat war weit entfernt davon, ein demokratisches Staatswesen zu sein. Anders Denkende – wie die Sozialdemokraten – wurden unter dem Sozialistengesetz von ihm verboten.
Dieser Teil der deutschen Geschichte ist kein positiver Meilenstein für die friedliche deutsche Einheit von 1989/90.
Dieser Teil der deutschen Geschichte wird in Ihrem Antrag geradezu heroisiert und verherrlicht. Sie geraten ja nahezu ins Schwärmen über die preußisch- deutschen Siege im 19. Jahrhundert.
Dass Sie Helmut Kohl hervorheben, verstehe ich, möchte ich auch nicht in Abrede stellen, aber dass Sie die Ostverträge von Willy Brandt und Egon Bahr, die ein bedeutender Meilenstein zur Annäherung von Ost und West waren, auslassen, obwohl diese Verträge eine absolut notwendige Voraussetzung für die deutsche Einheit waren, zeigt, dass Sie nur Ihre parteipolitischen Leistungen in den Vordergrund stellen wollen!
Ich habe fast den Eindruck, mit dem Antrag wollen Sie nur der SPD eins auswischen! Ähnliche Anträge hat es auch von CDU- Fraktionen in Dortmund und in anderen Städten gegeben. In Ostdeutschland waren Sie damit in einigen Städten sogar erfolgreich.
Ich fordere Sie auf, den Antrag aus Respekt vor den Motiven des ersten Wittener Stadtrates nach
dem Zweiten Weltkrieg, der die Namensgebung beschloss, zurück zu ziehen. Wenn es Ihnen nur darum geht, die Bezeichnung Deutsche Einheit in Witten als Straßen- oder Platznamen zu verankern, warum denken Sie dann nicht an den neu gestalteten Bahnhofsvorplatz, der noch keinen Namen hat? Darüber könnte man ernsthaft nachdenken!“
*Das „Manifest der kommunistischen Partei“ ist ein frühe Arbeit von Marx und Engels (zuerst veröffentlicht 1848). Die ökonomische Theorie von Marx (Kapitalismusanalyse) stand erst ab 1857/58 auf einigermaßen sicheren Beinen. Siehe dazu die immer noch lesenswerte Arbeit von Roman Rosdolsky „Zur Entstehungsgeschichte des Marxschen ‚Kapital’/Der Rohentwurf des Kapital 1857-1858“,Frankfurt am Main 1968.
Eine lesenswerte neuere Arbeit ist Michael Heinrich „Die Wissenschaft vom Wert/Die marxsche Kritik der politischen Ökonomie zwischen wissenschaftlicher Revolution und klassischer Tradition“/Münster 1999.
Zu den Problemen der frühen SPD bis 1920 empfehle ich:
– Rudolf Walther „… aber nach der Sündflut kommen wir und nur noch wir.“/“Zusammenbruchstheorie, Marxismus und politisches Defizit in der SPD, 1890 – 1914, Frankfurt am Main 1981
– und Barrington Moore „Ungerechtigkeit/Die sozialen Ursachen von Unordnung und Widerstand“, Frankfurt am Main 1982, insbesondere Teil II/Eine historische Perspektive: Deutsche Arbeiter 1848 – 1920.