„Implementationsdefizit“
In der Politikwissenschaft gibt es den Terminus „Implementationsdefizit“. Damit ist gemeint, dass z.B. vom Bundestag etwas beschlossen wird, was dann auf dem Weg durch die untergeordneten Zwischeninstanzen gar nicht oder nur verzerrt „unten“ ankommt. Derartige Implementationsdefizite sind aber offenbar nicht nur für staatliche Instanzen endemisch, sondern auch für Parteien.
Beispiel: Die SPD-Umweltministerin Svenja Schulze hat ein interessantes Projekt „Masterplan Stadtnatur“ (aufbauend auf dem Weißbuch „Grün in die Stadt“ ihrer Vorgängerin Barbara Hendricks (SPD) auf den Weg gebracht, über den die WP am 20.10.18 berichtet:
→ WP: „Svenja Schulze will deutsch Städte grüner machen“ Svenja Schulze will mit dem deutsche Städte grüner machen
Mich interessiert hier nicht das Abstimmungsverfahren innerhalb der GroKo-Regierung – ich glaube nicht, dass sich der Vorschlag schon allein wegen der CDU-Dominanz durchsetzen wird -, sondern die parteiinternen SPD-Verhältnisse.
Ich habe nämlich nicht den Eindruck, dass derartig „revolutionäre“ Regelungen, wie sie im Schulze-Projekt dokumentiert sind, auch nur im Entferntesten bei der Wittener SPD angekommen sind. Eben: Implementationsdefizit.
Aus meiner Sicht wären die Wittener Genossen gut beraten, die von der SPD-Umweltministerin vorgeschlagenen Regelungen auch ohne Regierungsbeschluss zu übernehmen. Das wäre vielleicht ein Weg, angesichts sinkender Umfragewerte „grüne“ Wechselwähler_innen mit einer konsequenten kommunalen Umweltpolitik wieder an die SPD zu binden.
Eine Geschichte
Stellen Sie sich vor, ein bedeutendes und für die Stadt wichtiges Wittener Unternehmen wolle sein Lager erweitern, und die Erweiterung könne nur auf einem benachbarten Grundstück stattfinden, das der Stadt gehört.
Die Erweiterung scheint dann auf den ersten Blick unproblematisch zu sein: Die Stadt verkauft, und das Unternehmen baut.
Auf den zweiten Blick wäre eine derartige, eigentlich selbstverständliche Angelegenheit aber unter Umständen problematisch, nämlich dann, wenn die Erweiterung auf einem sensiblen Bereich mit hoher Umweltwertigkeit, z.B. einem kleinen Wald, stattfinden soll.
Wäre die politische Zustimmung zu einer Erweiterung bei dieser Problematik denk- und unter dem Gesichtspunkt des Klimaschutzes und der Nachhaltigkeit verantwortbar? Unter bestimmten Voraussetzungen: Ja.
Als Voraussetzungen müssten gegeben sein: 1. Eine klare Kenntnis des Umfangs der Eingriffstiefe: Je weniger, desto besser; 2. ein adäquater Ausgleich für den Eingriff in die Umwelt im Nahbereich des Projekts; und 3. eine sichere planerische Grundlage (Flächennutzungsplan, Bebauungsplan), der im Interesse der Öffentlichkeit die genannten Punkte sichert.
Andernfalls wäre die Zustimmung zu einem Verkauf des für die Erweiterung notwendigen städtischen Grundstücks aus meiner Sicht nicht zu verantworten. Blindverkauf: Nein. Diese Einschränkung würde sich nicht gegen das Unternehmen richten, sondern gegen ein fahrlässiges Verfahren der Stadt.
Es wird immer doller – Bauschuttdeponie an der A 43 in Heven als Lärmschutzwall getarnt 2
Aktualisierung 9.12.18: Das Projekt (Aufstellung Flächennutzungsplanänderung, Bebauungsplan) ist leider am 6.12.18 mit großer Mehrheit beschlossen worden. Ich habe natürlich dagegen gestimmt. Bleibt noch anzumerken, dass mit der Bearbeitung der Bauleitplanung nicht unerhebliche Verwaltungskapazität gebunden wird, die für Sinnvolleres besser eingesetzt wäre.
Bleibt das Projekt einer Bauschuttdeponie, bei deren geplanter Anlage folgende Passagen aus der Vorlage für mich entscheidend sind (S. 3):
„Im Gebietsentwicklungsplan des Regierungsbezirks Arnsberg wird das Plangebiet als „Allgemeiner Freiraum- und Agrarbereich“ mit der Freiraumfunktion „Schutz der Landschaft und landschaftsorientierte Erholung“ sowie „Regionaler Grünzug“ dargestellt.
Im wirksamen Flächennutzungsplan der Stadt Witten ist das Plangebiet größtenteils als Fläche für Landwirtschaft gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 9 BauGB dargestellt. Ein Teilbereich im Süden ist als Grünfläche gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 5 BauGB mit der Zweckbestimmung „naturbezogene Erholung“ dargestellt.“
Eine Bauschuttdeponie in ein Plangebiet, das bisher dem „Schutz der Landschaft“, der „landschaftsorientierten Erholung“ und der „naturbezogenen Erholung“ dient? Mit mir nicht!
Ich kann deshalb dem folgendem Leserbrief voll und ganz Recht geben:
„Bauschuttdeponie getarnt als Lärmschutz? (mehr …)
Es wird immer doller – Bauschuttdeponie an der A 43 in Heven als Lärmschutzwall getarnt 1
Ich reibe mir die Augen. Da soll mal eben für einen sog. Lärmschutzwall (bei genauerem Hinsehen eine als Lärmschutzwall getarnte Bauschuttdeponie) via Flächennutzungsplanänderung und Aufstellung eines Bebauungsplans eine Bauleitplanung im Schnellverfahren durch den ASU am 6.12.18 gejagt werden. Hier die Vorlage und Anhänge:
→ Vorlage: 0937_V_16_Vorlage
→ Flächennutzungsplanänderung: 0937_V_16_Anlage_1; Bebauungsplan: 0937_V_16_Anlage_2
Und diese Maßnahmen sollen dem Lärmschutz dienen? Das ist wenig plausibel, wie schon aus der Vorlage selbst deutlich wird. Dort steht nämlich auf S. 2: (mehr …)
Fehlplanung Uni jetzt im ersten Schritt beschlossen: Meine Gegenrede im Rat
Wie ich schon in meinem Beitrag „Universität Witten-Herdecke: Parkhaus/Gewerbe statt Wald/Klimaschutz?“/23.10.18 dargestellt habe, plant die Stadt, für ein Parkhaus und Gewerbegebiet den kleinen Wald links von der Alfred Herrhausen-Straße zu rasieren.
In dem genannten Beitrag habe ich schon meine Ablehnung dieser Planung deutlich gemacht. In dem Beitrag ging es noch nur um das Gewerbegebiet. Zwischenzeitig ist mir klar geworden, dass es für den jetzt geplanten Standort des Parkhauses vor dem ZBZ eine plausible Alternative gibt: den Bau des Parkhauses auf dem unsäglichen Ascheplatz (ehemaliger Sportplatz).
Diesen Vorschlag kommentierte der Baurat im Rat mit der Feststellung, mensch habe sich beim jetzt geplanten Standort des Parkhauses für eine Bebauung in die Tiefe und nicht in die Breite entschieden. Und mit dieser Begründung wird ein kleiner Wald vernichtet und der hässliche Ascheplatz quasi als Entrée der Uni erhalten? Wahrlich eine Fehlplanung.
Abschließend abgestimmt und beschlossen (gegen die Stimmen der Fraktionen bürgerforum und Die Linke) wurde im Rat im ersten Schritt über eine Flächennutzungsplanänderung, aus der ein Bebabuungsplan planungsrechtlich abgeleitet werden muss. Bleibt als Hoffnung für den Wald noch die Korrektur des Bebauungsplans, dessen Aufstellung im ASU beschlossen worden ist und für den noch kein abschließender Beschluss vorliegt.
→ Flächennutzungsplanänderung Planzeichnung: Aenderung_des_Flaechennutzungsplans
→ Entwurf Bebauungsplan Planzeichnung: Entwurf_des_Bebauungsplans
Übrigens haben die Wittener Grünen sowohl im ASU wie im Rat der Fehlplanung zugestimmt. Weg mit dem Wald mit Zustimmung der Grünen? Eine konsequente Umweltpolitik, für die die Grünen doch wohl gewählt worden sind, sollte anders aussehen – vor allem, wenn es auch noch Alternativen gibt!
Im Folgenden meine Rede, die ich zu dieser Angelegenheit im Rat am 21.11.18 gehalten habe:
„Frau Bürgermeisterin, meine Damen und Herren,
ich habe im ASU der heute abzustimmenden Flächennutzungsplanänderung und dem korrespondierenden Bebauungsplanentwurf – planungsrechtlich eine Einheit – nicht zugestimmt. Eine Abstimmung gegen die Uni, wie ich gefragt worden bin? Zur Klarstellung: (mehr …)
Fundsache: Profitieren von Missständen
Bei erneuter Lektüre eines Buches, das mich stark beeinflusst hat (Martin Jänicke: Wie das Industriesystem von seinen Mißständen profitiert/Opladen 1979!), beeindruckte mich die Unterscheidung zwischen politischer Problembeseitigung und bürokratisch-industrieller Symptombehandlung (zu der eine Wahlverwandtschaft zwischen Bürokratie und kapitalistischer Industrie neige). Diese Symptombehandlung führe zur Erhaltung und Verschleppung von selbsterzeugten Problemen bei gleichzeitigem Profitieren von ihnen. In diesem Zusammenhang fiel mir insbesondere folgende Passage auf (S. 68):
„Unter dem Stichwort der industriellen Risiko-Produktion verdient ein hochkomplexer Bereich besondere Beachtung, der der spezialistischen Entsorgungsmaschinerie wohl am unzugänglichsten ist (und entsprechend als umweltpolitisches Nebenthema gilt): Der Bereich der Klimarisiken, wie sie durch die Kombination von direkter Aufheizung in den Ballungsräume und gleichzeitiger Zunahme von Treibhauseffekten durch CO2 entstehen. Ihre Schadenspotentiale reichen von weitgehender Erntevernichtung durch Dürre wie Überschwemmung, bis zu Produktionsausfällen durch Wassermangel oder extremer Kälte. An den in diesem Zusammenhang stehenden Prognosen über die Folgen eines Abschmelzens des Polareises ist mehr als dessen Düsternis die Tatsache beunruhigend, dass das technokratische System der Problembehandlung hier völlig inkompetent ist (und entsprechend reagiert).“
Diese Diagnose ist jetzt fast 40 Jahre alt. Mittlerweile ist der schädliche Klimawandel durch Treibhauseffekte kein Nebenthema mehr, weil er weit fortgeschritten ist und die negativen Auswirkungen immer spürbarer werden (Der Klimawandel ist auch eine Fluchtursache!).
Und die Kompetenz des technokratischen Systems der Problembehandlung? Die wird durch folgende zwei Artikel deutlich:
→ CO2-Ausstoß in Deutschland steigt massiv CO2-Ausstoß in Deutschland steigt massiv
→ CO2-Ausstoß 2016_Deutschlands Emissionen erneut angestiegen CO2-Ausstoß 2016_ Deutschlands Emissionen erneut angestiegen
Anlass zur Beunruhigung? Allerdings! (mehr …)
Klarstellung
Die Stockumer SPD und CDU sind neben anderen politischen Formationen gegen die Umwandlung des Vöckenbergs in Stockum (bisher Acker und regionaler Grünzug) in eine Gewerbefläche, eine Stockumer Initiative sammelt fleißig Unterschriften gegen das von der Bürgermeisterin befürwortete Projekt. Gegenwärtig läuft die Entwicklung und Abstimmung des Regionalplans Ruhr, in dem im Gegensatz zur bisherigen Regionalplanung der Vöckenberg als potentielle Gewerbefläche vorgesehen ist. Allerdings ist der Regionalplan für die städtische Planung nicht verbindlich. Ernst und verbindlich würde die geplante Ausweisung erst, wenn die Stadt Witten mit einer entsprechenden Bauleitplanung einsteigt (Verwaltungsvorlage!).
Bei der Sturheit der Projektbefürworter_innen kann es sein, dass trotz allen örtlichen Widerstands nur ein Bürgerbegehren (mit dem Ziel eines Bürgerentscheids) (§ 26 GO NRW) den nachhaltigen Schaden für die Stadt verhindern kann. Ich habe darauf schon in meinem Beitrag „Gewerbeflächen Stockum: Lassen wir uns unsere lebenswerte Zukunft nicht kaputt machen!“/18.7.18 hingewiesen.
Ein Bürgerbegehren unterliegt im Gegensatz zu einer Unterschriftensammlung strengen formalen Regeln, ist dafür aber auch verbindlich. Zu diesen Regeln gehört auch die Einhaltung vorgegebener Fristen. (mehr …)
Kann das eine Bürgermeisterin verantworten?
Am 25.10.2018 finde ich als WAZ-Online-Kommentar folgende Einlassung von p.s.a. zum WAZ-Artikel „Kaum Spielraum bei Gewebeflächen“ WAZ Gewerbeflächen (25.10.2018). Die Position von p.s.a. ist aus meiner Sicht absolut nachzuvollziehen. Hier die Einlassung mit einigen ergänzenden Anmerkungen von mir:
„p.s.a 25.10.2018 05:35
Taugen die Berater tatsächlich nichts, oder ist der Artikel einfach nur dünn ?
Fakt ist: Die einzig nennenswerte Fläche ist eine Frischluftschneise.
(→ Meine Anmerkung: Bei der nennenswerten Fläche in Stockum handelt es sich um eine Fläche in einem der „Regionalen Grünzüge“, die auch die Funktion einer Frischluftschneise haben. Derartige Frischluftschneisen sind wichtig für die Luftqualität und damit für die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger Wittens (u.a. gerade angesichts zu erwartender zunehmender Hitzeperioden und der zunehmenden Verschelchterung der Luftqualität: Stickoxid, Feinstaub). Heißt im Umkehrschluss: Wer die „Regionalen Grünzüge“ angreift, gefährdet die Gesundheit. Kann das eine Bürgermeisterin verantworten?) (mehr …)
Universität Witten/Herdecke: Parkhaus/Gewerbe statt Wald/Klimaschutz?
Die Universität Witten/Herdecke will expandieren. Da das Raumangebot in den bestehenden Gebäuden schon jetzt äußerst begrenzt ist, soll mehr Platz (auch für mehr Studentinnen und Studenten) durch einen Neubau auf dem jetzigen großen Parkplatz geschaffen werden. Das ist gut so.
Voraussetzung ist, dass der dadurch bedingte Wegfall von Parkplätzen an anderer Stelle kompensiert wird. Für diese Kompensation ist der Bau eines Parkhauses vorgesehen.
Expansion, Neubau und Parkhaus sind grundsätzlich begrüßenswert und unproblematisch. Problematisch aus meiner Sicht ist, dass in der ersten Version der Flächennutzungsplanänderung (Vorlage 0866*/Abstimmung 26.6.18 im ASU: Ausschuss für Stadtentwicklung und Klimaschutz) der unterhalb des ZBZ liegende kleine Wald zugunsten des Parkhauses – und ominöser Gewerbeflächen – geopfert werden sollte. Der geplante „Ausgleich“ jwd am Stadtrand ist doch wohl ein schlechter Witz.
Ich habe mich deshalb bei der Abstimmung über die Vorlage enthalten. Ein solches Rasieren eines nicht unerheblichen Baumbestands ist in Zeiten des notwendigen Klimaschutzes (mehr Grün, mehr Bäume) aus meiner Sicht nicht zu vertreten.
Die negativen Auswirkungen auf die Umwelt sind schließlich keine Peanuts. Hier die Bewertung aus dem Umweltbericht (wobei ich einige Auswirkungen für erheblicher halten würde): (mehr …)
Wildniswald: Eine gute Sache!
Auf der letzten ASU-Sitzung am 11.10.18 stand ein Antrag der Grünen zur Ausweisung von Wildniswald auf der Tagesordnung, der dann in einen Prüfantrag umgewandelt worden ist und so einstimmig beschlossen wurde. Hier der Antrag:
→ Antrag Grüne: Wildniswald Wildniswald_38_V16
Die WAZ berichtete am 15.10.18 darüber unter dem Titel „Grüne machen sich für Wildnis im Wittener Wald stark“.
→ WAZ Grüne machen sich für Wildnis im Wittener Wald stark
Aus meiner Sicht eine gute und unterstützenswerte Sache. Warum, macht die Begründung des Antrags deutlich. Auch ich habe deshalb dem Antrag zugestimmt. Wie aus dem WAZ-Artikel hervorgeht, will der Stadtförster prüfen. Ich hoffe, bei der Prüfung kommt etwas Vernünftiges heraus.
Drei Anmerkungen kann ich mir aber nicht verkneifen:
– Es geht nicht um „Wildnis im Wald“, wie die WAZ titelt, sondern um Wildniswald, das heißt, um zusammenhängende Waldareale, die ihrer natürlichen Entwicklung überlassen bleiben.
– Deshalb hätte in einem solchen Waldareal ein junges Pärchen mit Kinderwagen (Foto WAZ) auch nichts zu suchen. Schließlich sollen doch nicht Pärchen und Kind durch ungeordnet fallende Bäume und/oder Äste zu Schaden kommen.
– Skurril fand ich bei der mündlichen Antragsbegründung durch den Antragsteller Dr. Ralf Schulz (Grüne) die Äußerung, er könne sich auch einzelne Bäume (als „Wildnis“-Bäume?) vorstellen. Da hat er wohl im Übermaß auf Kosten der Sache seinen Antrag „mundgerecht“, heißt zustimmungsfähig machen wollen. Denn ein „Wildnis“-Baum hier und ein „Wildnis“-Baum da (eingestreut in die normale Waldplantage) sind kein Wald und entwickeln auch nicht die in der schriftlichen Antragsbegründung dargestellten Vorteile.