Marshallplan für die Ukraine?

Ergänzung 27.6.22: Hier noch ein Literaturhinweis: Ernst-Ulrich Schuster, Gerhrad Kraiker, Burkhard Scherer, Freidrich-Karl schlotmann, Marianne Welteke, Determinanten der westdeutschen Restauration 1945 – 1949, Frakfurt am Main 1972, insbesondere „Funktionen und Hintergründe des Marshall-Plans“ S. 72 – 86.

Ein „Marshallplan für die Ukraine“ (https://taz.de/Regierungserklaerung-von-Kanzler-Scholz/!5862885/)? Was schwatzt unser Kanzler da bloß? Er tut gerade so, als sei der vormalige Marshallplan ein karitatives Unternehmen gewesen. Das war es nicht*. Tatsache ist, dass es sich bei diesem Plan im Wesentlichen um amerikanische Kredite an die westdeutsche Wirtschaft gehandelt hat. Die hatten zur Folge, dass die westdeutsche Wirtschaft, deren produktives Potential vom Krieg nur unerheblich angeschlagen war, mit Hilfe dieser Kredite durch Kauf hauptsächlich amerikanischer Waren ihre Unterkapitalisierung überwinden, Sanierungs- und Erneuerungsinvestitionen durchführen und Arbeitskräfte einstellen konnte.

Insofern war der Marshallplan tatsächlich für die USA und Westdeutschland eine Win-win-Situation: Die USA profitierten von Zinsen, Tilgung und Warenexport, der Wiederbelebung eines lukrativen Wirtschaftspartners und dessen wirtschaftlicher „Aufrüstung“ gegen den sowjetischen Einflussbereich nach dem II. Weltkrieg, und die westdeutsche Wirtschaft von der Wiederherstellung ihrer produktiven Fähigkeit (einschließlich der Belebung des Binnenmarkts und der Fähigkeit, exportierbare Waren herzustellen).

Worin liegt der Unterschied zur Ukraine? Ganz einfach: Die Ukraine verfügt jenseits des Donbass über kein nennenswertes industrielles Potential, das mit Krediten wieder hergestellt werden könnte, um mit dem Verkauf der Produkte die Kredite zu bedienen. Heißt: Ein Wiederaufbau der Ukraine mit Hilfe von Krediten analog zum Marshallplan wäre nur für die Kreditgeber ein Win-Situation, für die Ukraine aber eine dauerhafte Last, die die wirtschaftliche Situation dieses eh schon vor dem Krieg sehr armen Landes** noch verschlechtern dürfte***. Profiteure, z.B. ukrainische Oligarchen und deren (korrupte?) Cliquen, dürfte es natürlich geben.

*Siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Marshallplan. Siehe auch: https://www.bpb.de/themen/nachkriegszeit/marshallplan/40091/mythos-marshallplan.

**Siehe dazu mein Beitrag „Einige Hintergrundinformationen über die Ukraine„/27.3.22.

***Beispiel: Verschuldungskrise vieler Drittweltländer; die Ukraine dürfte wirtschaftlich wohl eher der III. Welt zuzuordnen sein. Siehe auch zu dieser Problematik: https://www.bpb.de/themen/nachkriegszeit/marshallplan/40091/mythos-marshallplan.