Kandidat Strautz: Sagentag eines Bürgermeisterkandidaten

Natürlich kann jede/r in einer Zeitung seine Meinung äußern, sobald die Zeitung das zulässt. Allerdings ist von einer Bürgermeisterkandidatin/einem Bürgermeisterkandidaten mehr zu verlangen. Sie/er sollte keine fake-News à la Trump verbreiten und einigermaßen Vernünftiges und sachlich Begründbares von sich geben.

Es gibt bei „Hart, aber fair“ eine aus meiner Sicht sinnvolle Einrichtung: den Faktencheck.

Der Bürgermeisterkandidat des bürgerforums Herr Strautz hat sich in der WAZ am 24.8.20 positioniert: Witten_ Bürgermeister-Kandidat ist für eine autoärmere City

Wie sind seine Positionen zu bewerten und welches Ergebnis hat der Faktencheck? Beispiele im Folgenden: Berufliche Biografie; Wiesenviertel, Sagentage, Kulturschock; Innenstadt; Ladenleerstände; Kostenloser ÖPNV; Schuldenschnitt; Hälfte seines Einkommens Initiativen.

Berufliche Biografie?

Heilpraktiker in Hattingen, dann 20 Jahre Wirtschaftsberater? Ich kann mich erinnern, auf einem Schild „Martin Strautz, Heilpraktiker“ am Haus Wiesenstraße 2/Witten vor noch gar nicht langer Zeit gesehen zu haben. Zudem würde mich interessieren, welche Ärzte er wirtschaftlich berät (mit welchem Erfolg), und welche Qualifikation er für eine solche Tätigkeit hat? Und ob er es im neuen bürgerforum als 1. Bürgermeisterkandidat weit gebracht hat (Einschätzung der WAZ-Redakteurin Jutta Bublies), wird sich zeigen. Bisher sehe ich seine Kandidatur eher als Ausdruck von leichtem Größenwahn.

Wiesenviertel, Sagentage, Kulturschock?

Wiesenviertel: Ich kann mich erinnern, dass Herr Strautz vor einiger Zeit aus dem Vorstand des Wiesenviertels zurück getreten ist. Möglicherweise hat zu diesem Rücktritt auch die skurrile Idee einiger Kräfte im bürgerforum beigetragen, die Initiative Wiesenviertel durch Mitgliedschaft der Wählervereinigung bürgerforum an das bürgerforum binden zu wollen (entsprechende Mails liegen mir vor). Dagegen wird es Widerstand im Wiesenviertel gegeben haben, denn warum sollte sich eine lebendige Initiative durch einen desolaten politischen Verein vereinnahmen lassen?

Sagentage: Manchmal verfangen sich Veranstalter von Sagentagen in ihren eigenen Sagen. Nur: Politik ist kein Sage. Wenn der neue Bürgermeister all zu viele Sagen erzählen sollte, würden ihm schnell die Kommunalaufsicht und hoffentlich der Rat auf den Leib rücken.

„Kulturschock“: Er habe dafür gesorgt, „dass das Festival ‚Kulturschock‘ die untere Baghnhofstraße im vergangenen Oktobereine Tag lang in eine Kulturmeile verwandelte“. Ich kann mich erinnern, dass der „Kulturschock“ auch noch von anderen organisiert worden ist.

Ob diese etwas wackelige Selbstzuschreibung von Meriten eine Qualifikation für das Bürgermeister_innen-Amt darstellt, wage ich zu bezweifeln*. Wenn der Kandidat nicht mehr auf der Pfanne hat, würde das aus meiner Sicht nicht einmal die Voraussetzung für ein Ratsmandat ergeben. Aber wie gesagt: leichter Größenwahn.

Innenstadt?

Öffentlich Dachparks? Da hat die „Ideenschmiede“ (Plato würde sich im Grabe umdrehen) eine Sparren geschmiedet. Abgesehen davon, dass Privateigentümer solch ein Projekt stützen müssten: Wer soll das Anlegen von öffentlichen Dachparks finanzieren, wer soll die pflegen (z.B. auch Bewässerung) und wer soll wie Zugang bekommen? Klar ist Dachbegrünung sinnvoll, aber müssen es gleich öffentliche Parks – sogar mit Brücken verbunden – sein? Das sind doch Bierdeckelideen! Im übrigen entdecke ich im Internet kein Referenzprojekt in Graz, sondern Überlegungen (!) zu Dachparks in Linz.

Ladenleerstände?

Zu den Sparren des Kandidaten gehört auch die „Idee“ einer – wie soll mensch das nennen – Vermietungserzwingungssteuer. Steuern sind bekanntlich eine Art stiller Enteignung, und Privateigentum ist in unserem Land per Verfassung hoch geschützt. Eine solche Steuer, falls sie denn überhaupt mehrheitsfähig wäre, würde mit Sicherheit einer rechtlichen Überprüfung nicht standhalten.

Kostenloser ÖPNV?

So formuliert ist das natürlich schlichter Quatsch – auch übrigens bei der Bürgermeisterkandidatin der Linken Frau Ulla Weiß, auf die Frau Bublies verweist. Gemeint ist vielleicht, dass die Nutzer_innen des ÖPNV diesen ohne Bezahlung nutzen können (zu Zeiten der Rote-Punkt-Bewegung nannte mensch das Nulltarif, siehe dazu mein Beitrag „Rote-Punkt-Aktion 1971 – So fing Vieles an„/2.1.13). Aber Kosten für Personal, Gerät und Infrastruktur fallen selbstverständlich an – wenn nicht bei den Nutzer_innen, dann woanders. Der ÖPNV soll ja nicht eingestellt, sondern weiter betrieben werden. Wo fallen sie möglicherweise an? Z.B. bei den Steurzahler_innen. Diese subventionieren dann den ÖPNV. So etwas mag sinnvoll sein, kostenfrei ist es eben nicht. Mensch sollte schon mit offen Karten spielen.

Schuldenschnitt?

Aus den Einlassungen von Herrn Strautz geht hervor, dass er keinen Schuldenschnitt, sondern einen Schuldenverlagerung fordert. Ein Schuldenschnitt ist eine echte Streichung der Schulden, bei einer Schuldenverlagerung bleiben die Schulden. Sie fallen dann nur nicht mehr bei der Kommune an, sondern beim Land und/oder Bund. Für Zinsen und Tilgung hat weiterhin die Steuerzahlerin/der Steuerzahler aufzukommen. Übrigens wäre die Verlagerung eine Form von Trittbrettfahrerei, weil die Steuerzahler_innen der wenig verschuldeten Kommunen – die gibt es eben auch: Es ist nicht alles Ruhrgebiet – für die Schulden der hochverschuldeten Kommunen aufzukommen hätten.

Hälfte seines Einkommens Initiativen?

Das ist doch albernes fishing for compliments. Wenn schon die Hälfte des Einkommens, warum dann nicht eine Rückgabe an den städtischen Haushalt, aus dem das Gehalt der Bürgermeisterin/des Bürgermeisters finanziert wird (siehe dazu mein Beitrag „Nicht schlecht, Frau Specht!„/16.8.19)? Z.B. für den Bau von Kitas oder ähnliche sinnvolle Investitionen? Aber nein, Herr Strautz möchte offensichtlich Klientelpolitik betreiben.

Zusammengefasst: Alles heiße und keine frische Luft! Auf mich macht Herr Strautz den Eindruck eines selbstverliebten Poseurs (facebook, jetzt sogar als Großplakat!). Damit entspricht er allerdings der Verfasstheit des neuen bürgerforums, wo viele Poseur_innen ohne politische Substanz (siehe dazu meine Beiträge zum Programm des neuen bürgerforums auf dieser Website** und die Website dieser Wähler_innenvereinigung: https://buergerforum-witten.de/waehlergemeinschaft/***) gern gewählt werden und Pöstchen besetzen wollen.

Von einer Wahl von Herrn Strautz und des neuen bürgerforums kann ich daher nur abraten.

*Ich frage mich, was solche mit Sicherheit chancenlose Kandidat_innen wie Herrn Strautz antreibt. Bei der Arbeit einer hauptamtlichen Bürgermeisterin/eines hauptamtlichen Bürgermeisters geht es seit Einführung der Hauptamtlichkeit 1999 nicht mehr in erster Linie darum, zu repräsentieren. Die Amtsinhaberin/der Amtsinhaber ist Chef_in der Verwaltung, und Herr Strautz hat nicht die geringste Voraussetzung für die Ausfüllung diese Jobs: Er hat weder (nach eigenem Zugeständnis) irgendeine politische noch Verwaltungserfahrung. Also warum dann die Kandidatur?

Mir fallen ein: als schlechte Gründe persönliche Eitelkeit, Geltungssucht und/oder Naivität und als ein möglicher guter Grund der Versuch, durch eine derartige Kandidatur die eigene politische Formation bekannt zu machen. Das Letztere funktioniert aber nur, wenn die Kandidatin/der Kandidat schon vor der Kandidatur über Bekanntheit und Vertrauen verfügte. Bei Herrn Strautz ist das nicht der Fall. Einen guten Grund für eine Kandidatur von Herrn Strautz gibt es also nicht. Bleiben die schlechten Gründe.

**Beiträge von mir zum Programm des neuen bürgerforums: „Hopfen und Malz verloren?„/8.6.20, „Hopfen und Malz verloren?/Programmentwurf Kultur„/8.6.20, „Hopfen und Malz verloren?/Programmentwurf Finanzen„/8.6.20, „Hopfen und Malz verloren?/Programmentwurf Stadtentwicklung„/10.6.20, „Hopfen und Malz verloren?/Programmentwurf Präambel„/12.6.20, „Hopfen und Malz verloren?/Programmentwurf Demokratie, Fair-Trade, Städtepartnerschaften„/14.6.20, „bürgerforum: Da ist wirklich Hopfen und Malz verloren„/22.6.20, „Hopfen und Malz verloren?/Programmentwurf Sport„/6.7.20 und „Hopfen und Malz verloren: Programm neues bürgerforum/Wirtschaft, Arbeit und Soziales„/23.8.20.

***Bunte Bildchen und Sprüche machen noch keine politische Substanz!