Autofreier Tag: Chillen gut, Klimaschutz mangelhaft?

Am 28.6.19 berichtete die WAZ online: „Wittener Bündnis will Autos verbannen – für einen Tag“ → wittener-buendnis-will-autos-verbannen-fuer-einen-tag. Gemeint war ein „autofreier Tag“ am 22.9.19. Zwischenzeitig hatte der Rat am 2.7. dem Projekt unter Vorbehalt zugestimmt. Ich auch. Hier der abgestimmte „Bürger_innenantrag“* plus Begründung: Eingabe Autofreier Sonntag/Mitteilung an Fraktionen Buero Buergermeisterin autofreier Tag. Neuester Stand: Das Projekt ist wegen organisatorischer Naivität der Initiatoren auf das nächste Jahr verschoben worden (siehe WAZ vom 19.8.19 online: „Autofreier Tag in Witten wird um ein Jahr verschoben“ → autofreier-tag-in-witten-wird-um-ein-jahr-verschoben). Ist das Projekt, so wie es sich gegenwärtig darstellt, ein Beitrag zu Nachhaltigkeit und Klimaschutz?

Weder das eine noch das andere sind für mich gegenwärtig erkennbar. Denn schon von wirklichem „autofrei“ kann ja nicht die Rede sein. Faktisch sollen einige Innenstadtstraßen für den sich bewegenden MIV (motorisierten Individualverkehr)  gesperrt werden – parallel zum Weltkindertag und der damit zusammen hängenden Sperrung von Teilen der Ruhrstraße.

Hauptziel der Veranstaltung: „Die Straße ist Ort für Begegnung, Zusammenleben, Spaß und Freude. Um dies sichtbar zu machen, möchten wir bestimmte Straßenabschnitte der Wittener Innenstadt für kreative Aktivitäten öffnen“ (homepage der Initiative: autofreier-tag-witten). Allerdings müsste es aus meiner Sicht eigentlich und richtig heißen: „Die Straße sollte ein Ort für Begenung, Zusammenleben, Spaß und Freude sein“, denn die Wittener Innenstadtstraßen sind weit entfernt davon, die genannten Qualitäten aufzuweisen. Doch okay, so weit, so gut.

Aber Nachhaltigkeit und Klimaschutz? Dazu wäre doch wohl mehr nötig als ein autofreier Tag, denn am 22.9. würden „Begegnung, Zusammenleben, Spaß und Freude“ auf einer versiegelten städtischen Asphaltwüste stattfinden, die ganz abgesehen vom MIV zu einer potentiellen Überhitzung der Innenstadt beiträgt – besonders spürbar im letzten und in diesem Sommer. Und wenn dann der 1-Tage-Spaß vorbei ist, gehen der MIV, die Umweltverschmutzung und Klimaschädigung wieder von vorne los. Für mehr Nachhaltigkeit und Klimaschutz dürften solche Aktionen schlicht irrelevant sein.

Gibt es bisher weiter gehende Vorstellungen der Initiative?

Herr Strautz (Vorsitzender des Wiesenviertel e.V. und bürgerforum) kann sich im WAZ-Artikel vom 26.6. eine generell autofreie Innenstadt (autofrei außer Lieferverkehr und Anlieger mit 10 kmh) vorstellen. Wie das? Sollte das auch für die Ardeysraße, Crengeldanzstraße, Breite Straße, Bergerstraße und Husemannstraße gelten? Nach aktuellem Konzept nicht, obwohl doch diese Wohnstraßen die größte Verkehrsdichte und damit die stärkste Abgasbelastung in der Innenstadt aufweisen. Aber später vielleicht?

Wo zieht Herr Strautz die Grenzen der Innenstadt, die bekanntlich der größte Stadtteil Wittens (ca. 30.000 Einwohner) ist und mehr Areale als das Wiesenviertel umfasst – und auch mehr als das Hohenzollern- und Johannisviertel?

Und was ist mit dem ÖPNV? Soll der am autofreien Tag z.B. über Sondertarife privilegiert werden? Das würde sich auch insbesondere für die Teilnehmenden am Weltkindertag anbieten, wenn die Autos außen vor bleiben sollen. Privilegierung an anderen Tagen auch, wie in Zürich? Fazit: Da ist noch einiges unausgegoren.

Und Herr Löpke (Fraktionsvorsitzender der Piraten) kultiviert im genannten Artikel den Sparren, Quartiersparkhäusern für Anwohner bauen zu wollen. Abgesehen davon, dass die bestehenden Wittener Parkhäuser nicht ausgelastet sind (siehe dazu die Antwort der Verwaltung auf die im Artikel erwähnte Anfrage der Piraten: Quartiersparkhäuser): Wer baut die Parkhäuser – Bauen kostet – und wo sollen sie gebaut werden? Auf dem Humboldtplatz? Nochmal unausgegoren.

Wenn mit derartigem programmatischen Leichtgepäck nachhaltige Verkehrskonzepte mit einem Beitrag zum Klimaschutz salonfähig gemacht werden sollen, sehe ich schwarz für deren Berücksichtigung im Masterplan Verkehr.

Last not least beiläufig: Es wäre schön, wenn endlich in der Ruhrstraße eine Unterschreitung der Stickoxid-Grenzwerte durch geeignete Maßnahmen, z.B. durch eine MIV-freie Zone (siehe dazu mein Beitrag „Fußgängerzone Ruhrstraße? Nein, aber durchgreifende Lösung im Interesse der Gesundheit der Menschen„/6.8.13), herbei geführt werden könnte. Derartige Maßnahmen wären wohl nur ein kleiner Beitrag zum Klimaschutz, aber eine erheblicher  zur nachhaltigen Beseitigung einer seit Jahren andauernden Gesundheitsgefährdung.

*Bei dem „Bürger_innenantrag“ handelt es sich eigentlich um eine „Anregung“ nach § 24 der geltenden Gemeindeordnung NRW. Dort heißt es „Anregungen und Beschwerden“. Der Begriff „Anregungen und Beschwerden“ ersetzt die bis Oktober 1994 geltende Begrifflichkeit „Bürgerantrag“, die unter § 6c der (alten) Gemeindeordnung NRW verankert war.