Mütchen-Kühlen zu Lasten der Bürger_innen?

Folgender Vorgang: Für die Ratssitzung am 25.3.19 beantragt die WBG eine personelle Umbesetzung im AWSF (Ausschuss für Wirtschaftsförderung, Stadtmarketing und Feuerschutz). Das frisch gebackene WBG-Mitglied Herr Michael Hasenkamp soll beratendes Mitglied im Ausschuss werden. Das ist normalerweise ein Routinevorgang, dem der Rat und die anderen Fraktionen in anderen Fällen selbstverständlich zustimmen.

In diesem Fall nicht. Eine Provinzposse nimmt ihren Lauf: Im ersten Schritt wird eine Beschlussfassung über den Antrag der WBG am 25.3.19 zurückgestellt, um eine rechtliche Prüfung vorzunehmen. Im zweiten Schritt signalisiert die Fraktion Piraten auf der Ratssitzung am 27.5.19 Beratungsbedarf. Die Abstimmung wird verschoben.

In der Folge setzt sich das Bürgermeisterinnenbüro mit der Kommunalaufsicht in Verbindung, um die von der Gemeindeordnung vorgegebenen Grundlagen des Verfahrens zu klären und Unsicherheiten zu beseitigen. Die Kommunalaufsicht positioniert sich in dieser Angelegenheit sehr deutlich folgendermaßen:

→ Schreiben des Landrats an die WBG, speziell Absatz 3: scan_201906121505_53895052412

Am 2.7.19 kommt es im Rat endlich zu der ausstehenden Abstimmung. Die Linke beantragt geheime Abstimmung, bei der Herr Hasenkamp nicht die Mehrheit bekommt (13 Ja-Stimmen, 17 Nein-Stimmen, 26 Enthaltungen/ungültig). Die WAZ titelt: „Wittener Stadtrat lässt Michael Hasenkamp durchfallen“/3.7.19. Stimmt das? Hier war wohl der Wunsch Vater des Gedankens. Tatsächlich hat sich der Mehrheit des Rates einfach – gemessen an den Vorgaben der Kommunalaufsicht – nicht rechtskonform verhalten.

Denn nach Vorgabe der Kommunalaufsicht hätte es nur einen legalen und legitimen Grund gegeben, die Besetzung nicht vorzunehmen: die fachliche Nichtqualifikation des Kandidaten. Unabhängig davon, dass die im vorliegenden Fall schwer nachweisbar gewesen wäre, ist vor der Abstimmung nicht ein einziges Argument in dieser Richtung vorgetragen worden. Fazit: Eine Mehrheit der Ratsmitglieder hat ihr Mütchen gekühlt. Das ist dann aber Willkür, die im Rat nichts zu suchen hat.

Ist mit der Abstimmung am 2.7.19 die Angelegenheit abgeschlossen? Natürlich und korrekterweise nicht: Wie zu vernehmen ist, hat sich die Antragstellerin WBG an die Kommunalaufsicht gewandt. Sollte die Kommunalaufsicht entsprechend ihrer bisherigen Stellungnahme intervenieren, gibt es aus meiner Sicht zwei Möglichkeiten: 1. die Bürgermeisterin anzuweisen, den Beschluss vom 2.7.19 zu canceln und konform neu abstimmen zu lassen; 2. Herrn Hasenkamp per Ersatzvornahme als beratendes Mitglied im AWSF zu installieren.

Sollte dies nicht geschehen, bleibt der Antragstellerin WBG der Klageweg (Verwaltungsgericht, Feststellungsklage gegen den Rat) offen. Meiner Einschätzung würde die WBG ein solches Verfahren gewinnen. Pikant dabei ist, dass es sich bei einer solchen Klage um ein Organstreitverfahren (siehe dazu WikipediA: Kommunalverfassungsstreit) handeln würde, das die Stadt, also die Steuerzahlerin/der Steuerzahler zu bezahlen hätte.

Geld der Bürger_innen für die Heilung einer vollkommen überflüssigen Provinzposse?

Ich bin der festen Überzeugung, dass willkürliche Regelbrüche, die sich gegen einen ungeliebten politischen Konkurrenten (die WAZ – Kommentar Jürgen Augstein-Peschel 4.7.19 – schrieb von „zu viel verbrannter Erde“, die der Kandidat hinterlassen habe) richten, sich letztlich als Bumerang für die Regelbrecher_innen auswirken und der Demokratie schaden: Herr Hasenkamp dürfte nicht meine politische Linie vertreten, aber es gehört eben zum Wesen von Demokratie, von der eigenen Position abweichende demokratiekonforme Positionen in Verfahren und Debatte zuzulassen und nicht zu versuchen, derartige Positionen durch Willkür auszuschalten.