Haushaltskapriolen

Ergänzung 7.5.16: Um einen Eindruck von der Größenordnung der geplanten Steuererhöhungen zu vermitteln, hier die Vorlage, die am Montag beschlossen werden soll, und von der Kämmerei errechnete Beispiele für die Grundsteuer B (übrigens alles öffentlich im Ratsinformationssystem der Stadt Witten zu finden):

Vorlage Vorlage

Beispiele für die Grundsteuer B Anlage_1Beispiele

Wie mir zu Ohren gekommen ist, wollen einige Ratsmitglieder dem Haushalt 2016 und den damit verbundenen Steuererhöhungen mit folgender Begründung zustimmen: Weil Witten „erpresst“ werde und wegen drohendem Wegfall von Fördermitteln, Zuschüssen für Flüchtlinge und des Zuschusses aus dem Stärkungspakt, sei die Steuerhöhung alternativlos*. Diese Ratsmitglieder sehen eine Obergrenze für eine Zustimmung zu zukünftigen Hauhalten sogar erst bei einer Anhebung der Grundsteuer B auf 1000 Prozentpunkte (aktuell angestrebte Anhebung: 910 Prozentpunkte).

An Haushaltszustimmungskapriolen ist die Wittener Kommunalpolitik schon immer reich gewesen, diese Kapriole ist nur eine neue und genau so falsch wie die alten: „In Verantwortung für die Stadt …“, „Rampen bauen“ (die Rampen führten dann leider weiter in den Abgrund) etc. Wer diesem Haushalt und den Steuererhöhungen zustimmt, wird das Elend nur verlängern, und wer bereit ist, die Grundsteuer auf 1000 Prozentpunkte zu erhöhen, hat einfach den Schuss nicht gehört. Witten krankt nicht an zuviel „Erpressung“, sondern an zu wenig, nämlich an zu wenig nachhaltigem Durchgriff der Aufsichtbehörde zu einer Kernsanierung von Verwaltung und städtischen Finanzen.

Ausflug in die private Wirtschaft

Stellen wir uns ein privates Unternehmen vor, dass wegen überzogener konsumtiver Ausgaben (z.B. Personalkosten) an die Wand gefahren worden ist (Auszehrung der Substanz, überzogener Kreditrahmen). In der privaten Wirtschaft wäre ein Kreditgeber gut beraten, diesem Unternehmen mit allen unangenehmen Folgen die Kredite zu sperren und – wenn noch möglich – eine Sanierung einzuleiten, die mit Sicherheit eine Einschränkung der konsumtiven Ausgaben beinhalten müsste. Die Alternative einer unbegrenzten Kreditierung wäre doch ziemlich idiotisch. Wäre das eine Erpressung? Nein, es wäre ein rationales Verhalten unter Bedingungen einer eigentlich selbstverständlichen wirtschaftlichen Budgetrestriktion, weil 1. das marode Unternehmen seine Schieflage selbst verschuldet hätte, und es 2. seine überzogenen konsumtiven Ausgaben weiterhin tätigen könnte: Ein einfaches kreditgestütztes Weiter-So des maroden Unternehmens ohne Notbremse würde zu einer Fehlallokation von gesellschaftlichen produktiven Ressourcen auf Kosten der Allgemeinheit führen.

Sonderstellung der Kommune

Stellen wir uns weiterhin vor, die wirtschaftliche Lage der Stadt Witten zeige in mancher Hinsicht Übereinstimmungen mit der gerade beschriebenen Situation eines maroden privaten Unternehmens (die Stadt Witten ist seit 2010 überschuldet). Unterschied: Eine Kommune kann nicht pleite gehen (das Land wäre im Ernstfall Gewährträger). Die harten Regulationsmechanismen, die in der freien Wirtschaft zu wirtschaftlicher Disziplin zwingen, fallen also weg. Das ist auch gut so, weil andernfalls für die Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger unverzichtbare öffentliche Dienstleistungen ausfallen könnten.

Statt harter, privatwirtschaftlicher Regulationsmechanismen gibt es für Kommunen andere, politische Regulationsinstanzen: die Gemeindeordnung NRW/§ 75, die Kommunalaufsicht und im Ernstfall das Innenministerium – die aber nur wirksam sind, wenn sie auch angewandt werden. Und es gilt natürlich auch für öffentliche Dienstleistungen das Gebot der wirtschaftlichen und effizienten Erbringung.

Funktion des Stärkungspakts

Der Stärkungspakt NRW stellte nun ab 2011 einen – späten – Versuch dar, in einer auszuufern drohenden Situation – immer weiter überzogener Kreditrahmen, d.h. wachsender Schuldenberg – bei einigen Kommunen (u.a. Witten) die Notbremse zu ziehen. Weil in Witten die Überschuldung schon 2010 eingetreten war, gehörte Witten zu den ersten Kommunen, die als pflichtig am Stärkungspakt teilnehmen mussten (siehe dazu mein Beitrag „Was bedeutet der Stärkungspakt für Witten?“/12.3.13). Die Pflicht wurde allerdings durch einen järlichen Zuschuss von 7,2 Mio. € bis 2016, danach bis 2021 jährlich degressiv, versüßt. Mit der Pflicht verbunden war die Auflage einer Rückkehr zur ernst zu nehmenden Haushaltsdisziplin, zum Haushaltsausgleich mit Zuschüssen bis 2016 und mit zurück gehenden Zuschüssen dann bis 2021 (ab 2021 dann ohne Zuschüsse).

Erpressung?

War der Stärkungspakt eine „Erpressung“? Ich kann in der Gewährung eines jährlichen Zuschusses von 7,2 Mio. € und der Verpflichtung auf Haushaltsdisziplin entsprechend § 75 Gemeindeordnung NRW keine „Erpressung“ erkennen. Würde es den Stärkungspakt nicht geben, lägen die Schulden der Stadt nicht wie gegenwärtig bei ca. 400 Mio., sondern wahrscheinlich bei rd. 500 Mio. € mit steigender Tendenz. Der Sinn des Stärkungspakts war eben nicht eine Neuregelung kommunaler Finanzen, wie mache Kritiker suggerieren, sondern eine Dämpfung des Schuldenanstiegs und Wiederheranführung von Ausreißern wie Witten an die Haushaltsdisziplin. Nicht mehr und nicht weniger.

Was meint dann „Erpressung“? Die Pflicht zur Finanzierung durch Bund und Land übertragener Aufgaben und die Nichteinhaltung des sog. Konnexitätsprinzips, das speziell von der Wittener Stadtspitze immer wieder wie ein Mantra beschworen wird?

Abgesehen davon, das es letztlich Jacke wie Hose ist, welche Ebene im staatlichen Bereich für die Finanzierung von Aufgaben aufzukommen hat – der Bürger muss es über Steuern oder Schulden immer in letzter Instanz bezahlen, und die Einhaltung des Konnexitätsprizips würde die ja auch nicht geringen Finanzprobleme von Bund und Land verstärken -, traf und trifft diese „Erpressung“ alle Kommunen im Land. Die meisten werden damit weit besser fertig als Witten.

Taucht auch hier natürlich die Frage auf, warum Witten speziell so große Probleme mit dem Stemmen dieser Belastung hatte und hat. Liegt es etwa wieder an den schon erwähnten überzogenen konsumtiven Ausgaben? Von „Erpressung“ aus meiner Sicht keine Spur.

Das Problem liegt doch an ganz anderer Stelle.

Wo liegt das Problem im Spezialfall Witten?

Die aktuell geplanten und zukünftigen Steuererhöhungen haben nichts mit einer illegitimen „Erpressung“ von außen zu tun, sondern mit einem jahrelangen schlechten Wirtschaften und einer ungerechten internen Verteilung der daraus resultierenden Folgelasten (Abwälzung der Sanierungslasten auf die Bürgerinnen und Bürger über die Einschränkung städtischer Diensleistungen – einschließlich von Infrastruktur -, verbunden mit dem gleichzeitigen Anheben von Steuern und Abgaben). Die Bürgerinnen und Bürger müssen pradoxerweise für immer weniger immer mehr zahlen. Das hat mit zwei Faktoren zu tun:

1. Stärkungspakt und Kommunalaufsicht: Der Stärkungspakt hat den Fehler, eine Haushaltsdisziplinierung und -konsolidierung nur „aus der Ferne“ über Genehmigungsverfahren zu erzwingen. Wie das Ziel erreicht wird, wird den Kommunen selbst überlassen.

2. Gestaltungssouveränität der Kommune: Auf diese Weise können die Kommunen, die bisher schlecht gewirtschaftet haben, weiterhin an überhöhten konsumtiven Ausgaben zu Lasten von Quantität und Qualität öffentlicher Dienstleistungen und der Bürger (über Steuer- und Abgabenerhöhungen) fest halten. Die marode Wirtschaft wird nicht strukturell saniert, sondern die Strukturschwächen werden durch Rückgriff auf die Portemonnaies der Bürger aufrecht erhalten und notdürftig übertüncht. Darüber hinaus treffen die Kosten der Pseudo-Sanierung die Falschen.

Wie bereits obern formuliert: Witten krankt nicht an zuviel „Erpressung“, sondern aus meiner Sicht an zu wenig, nämlich an zu wenig Durchgriff und forcierter Anregung – wie ich es einmal nennen möchte – durch die Aufsichtbehörde/das Land mit dem Ziel einer Kernsanierung von Verwaltung und städtischen Finanzen.

Ein Ausweg?

Ich habe in meinem Beitrag „Wittener Haushalt – Licht am Ende des Tunnels, aber wie?? “/6.1.16 geschrieben:

„ – Das Ziel kann aus eigener Kraft nicht geschafft werden. Dafür sind die Strukturschwächen (nicht Wittens, sondern der Stadtverwaltung) zu gravierend und die Schulden zu hoch (s.o. Vorbericht Haushaltsplanentwurf 2016). Daher bedarf es einer wirksamen Unterstützung „von außen“. Diese Unterstützung darf nicht in erster Linie in der Versorgung mit mehr Geld bestehen. Die bloße bessere Versorgung mit mehr Geld impliziert kein Steuerungspotential und lädt zum Weiterwurschteln ein. …

Sinnvoll wäre es, im Rahmen einer „Task-Force“ interne Kräfte (Verwaltungsspitze, Selbstverwaltung/Rat) und die externen Instanzen (Kommunalaufsicht, GPA) prozessbegleitend zusammen zu führen, um eine wirksame Beratung und Kontrolle über den einmal festgelgten Konsolidierungpfad zu erreichen. Nur auf diesem Weg dürfte ein Licht am Ende des Tunnels leuchten …“

Diese Position entspricht meine langjährigen Erfahrung mit gescheiterten Haushaltskonsolidierungen und -sanierungen in Witten. Ob ein solches Konzept allerdings vor der Landtagswahl noch eine Chance hat, kann mit Fug bezweifelt werden.

*Und was ist von der Drohung mit dem sog. Sparkommissar und dem Wegfall der Zuschüsse aus dem Stärkungspakt zu halten? Ich verweise auf meinen Beitrag „Sparkommissar – droht der schwarze Mann? (aktualisiert 23.09.14)“/15.9.14. Bei Nichtzustimmung zum Haushalt (nicht einer kleinen Fraktion, sondern der Mehrheit des Rates; die Zustimmung oder Nichtzustimmung einer kleinen Fraktion ist angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Wittener Rat ziemlich irrelevant) wären weder Fördermittel, Zuschuss aus dem Stärkungspakt noch Zuschüsse für Flüchtlinge (übrigens eine sichere Finazierung einer übertragenen Aufgabe) gefährdet. Die Drohung ist ein Popanz. Die Auszahlung würde sich nur bis zum Vorliegen eines genehmigungsfähigen Haushalts – u.U. exekutiert durch einen „Sparkommissar“ – verzögern. Bangemachen gilt nicht!

Was tut ein Sparkommissar?

Tatsächlich würde der Sparkommissar wahrscheinlich die Steuererhöhungen exekutieren. Der Rat hätte allerdings bei mehrheitlicher Nichtzustimmung ein deutliches Zeichen gesetzt, dass er nicht bereit ist, laufend selbst die Rolle des Sparkommissars zu übernehmen. Interessant die Äußerung von Herrn Aßhoff (Kommunalaufsicht Bezirksregierung) in einem auf Einladung der SPD zustande gekommenn Gespräch: „Falls sich im Rat keine Mehrheit für den Haushalt finde, ‚finden wir eine andere Lösung‘, sagte Aßhoff“ (Zitat WAZ 12.4.16 „Wir haben ein großes Interesse, Witten zu helfen“). Allerdings sah Herr Aßhoff keine Alternative zur Steuererhöhung.

Das ist aus Sicht der fernen Bezirksregierung auch leicht. Mensch muss diese Meinung allerdings nicht unbedingt teilen. Ich teile sie z.B. nicht. Wichtig ist im Kern doch nicht die Steuererhöhung, sondern der Haushaltsausgleich – wie er auch zustande kommen mag (Stichwort: Gerechte oder ungerechte Verteilung der Lasten). Das einfache Drehen an der Steuerschaube mit dem Effekt einer zurückgehenden auch finanziellen Atraktivität der Stadt – neben anderen Atraktivitätsverlusten – scheint mir für Witten keine hilfreiche Lösung zu sein.

SPD-Klientel besonders betroffen

Beiläufig weise ich darauf hin, dass diese Art von Hausahltssanierung vor allem die klassiche sozialdemokratische Klientel trreffen dürfte: bei der Grundsteuererhöhung über die Umlage der Steuer auf die Miete die Mieterinnen und Mieter mit geringerem Einkommen im unteren bis mittleren Mietsegment, bei der Gewerbesteuer möglicherweise Arbeitsplätze und hier auch über die Umlegung der Steuer auf die Preise wieder insbesondere die geringeren Einkommen. Ob das Versprechen der Kommunalaufsicht, der Beantragung von Fördermitteln nichts in den Weg zu stellen (Aßhoff), den negativen politischen Effekt von Steuererhöhungen bei der Perspektivlosigkeit der bisherigen Haushaltssanierung aufwiegen wird, wage ich zu bezweifeln. An die Adresse der SPD: Wie heißt es doch: „Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren.“ (Bertold Brecht).

Ohne Haushalt gibt es nicht

Merke: Einen Haushalt wird es auf jeden Fall geben – ob mit oder ohne Sparkommissar und – ohne Sparkommissar – ob mit oder ohne Genehmigung durch die Kommunalaufsicht. Wenn nicht genehmigt, gilt die vorläufige Haushaltsführung. Dann können nur noch in der zurückliegenden Haushaltsperiode angefangene Projekte ohne Sondergenehmigung durch die Kommunalaufsicht weiter geführt werden, und die Kommunalaufsicht schaut Witten laufend auf die Finger. Dann muss – politisch – im Einzelfall verhandelt werden. Schlecht muss das auch nicht sein, und durch die Zustimmung zu den jetzt geplanten Steuererhöhungen ist eine vorläufige Hauhaltsführung ja immer noch nicht ausgeschlossen. Weil’s der Kommunalaufsicht möglicherweise immer noch nicht reicht und selbst mit den Steuererhöhungen der Haushalt nicht genehmigungsfähig ist.

Siehe zum Thema „Haushaltsdesaster der Stadt Witten“ auch meine zahlreichen zurück liegenden Beiträge unter dem Schlagwort „Haushalt/Finanzen“ in diesem Blog.